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pmelittam

Posted on 21.5.2025

1980 wird Carl Fletcher vor seinem Haus entführt, er kommt zwar, gegen eine Lösegeldzahlung, nach einigen Tagen wieder frei, doch die Entführung wirkt sich sein ganzes Leben lang auf ihn und seine Familie aus. Etwa 40 Jahre später trifft man die Fletchers wieder und erfährt, wie es ihnen nun geht. Es geht ihnen nicht gut, so viel kann ich schon sagen. Ich finde die Erzählweise interessant, zunächst erfährt man nacheinander das Leben der drei Kinder, später auch das der Ehefrau, und schließlich sogar mehr über Carls Empfinden. So kommt man jedem dieser Familienmitglieder nahe, kann ihr Wesen nachvollziehen. Was man da liest, ist nicht immer schön, teilweise sehr heftig. Die Autorin nimmt da auch kein Blatt vor den Mund, weder bezüglich der Ereignisse noch der Worte, die sie benutzt. Zunächst noch ein Wort zur Familie Fletcher: Großvater Zelig ist seinerzeit vor den Nationalsozialisten in die USA geflüchtet und hat dort ein Unternehmen aufgebaut, das die Familie sehr reich machte. Ein bisschen nimmt der Roman auch das jüdische-amerikanische Leben auf die Schippe, zum Beispiel, wenn sich alle Frauen die selbe Nase machen lassen. Überhaupt scheint immer wieder, vor allem schwarzer, Humor auf, so dass der Roman bei aller Tragik auch unterhaltsam ist. Vieles, was der Familie geschieht, scheint mehr oder weniger überzogen, vieles sah ich auch so nicht kommen. Die Familienmitglieder und auch einige Bekannte wirken ebenfalls teilweise überzogen, so dass man eben nicht alles ganz ernst nehmen kann, womöglich hätte man sonst mehr mitleiden müssen, so ergab sich, zumindest für mich, eine gewisse Distanz. Zunächst begegnet man Bernard, Beamer genannt, dem mittleren Kind, dem jüngeren Sohn, der, zunächst zusammen mit einem Freund Drehbücher schreibt, eine Nichtjüdin geheiratet hat, die zudem noch deutschstämmig ist. Beamers Geschichte empfand ich persönlich als am heftigsten. Nathan, der Älteste, hat viele Phobien und tut sich in seinem Job als Anwalt schwer. Jennifer war zur Zeit der Entführung ihres Vaters noch nicht geboren, sie ist sehr intelligent, weiß dies aber nicht zu nutzen und scheint mit ihrem Leben überfordert. Und dann ereilt die Familie auch noch eine Katastrophe. Die Erzählerin durchbricht hin und wieder die vierte Wand, stellt den Leser:innen schon mal eine Frage, und lässt durchblicken, sie würde die Geschichte der Fletchers aus erster Hand kennen, vor allem gegen Ende wertet sie auch. Das bringt einen zusätzlich zum Nachdenken. Ich denke, der Roman wird polarisieren, nicht jedem gefallen. Ich mag ihn, und habe Lust bekommen, mehr von der Autorin zu lesen. Ich mag aber auch Familiengeschichten, die es in sich haben, diese hat es auf jeden Fall, und Romane, die auf gewisse Weise herausfordernd sind. Auch wenn ich eine gewisse Distanz zur Familie entwickelt hatte, erzeugte ihr Schicksal bei mir doch Emotionen. Wahrscheinlich werde ich noch öfter an die Fletchers zurückdenken, und froh sein, keine von ihnen zu sein.

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