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Du bist jung, studierst in Glasgow, küsst zum ersten Mal ein Mädchen, verliebst dich in deine beste Freundin – und liegst plötzlich in der Notaufnahme. So beginnt Madeline Dochertys Debüt Erdbeeren und Zigarettenqualm – direkt, intim, verletzlich. Was wie eine Coming-of-Age-Geschichte klingt, entpuppt sich schnell als ein ebenso intensives wie schmerzhaft schönes Porträt über Freundschaft, Krankheit und das Erwachsenwerden in all seiner Widersprüchlichkeit. Die namenlose Protagonistin erzählt ihre Geschichte in der Du-Perspektive – ein ungewöhnlicher, aber wirkungsvoller Kniff, der sofort Nähe schafft, aber auch anstrengend sein kann. Man wird nicht nur zur Leserin, sondern zur Mitfühlenden, zur Vertrauten, fast zur Beteiligten. Der Stil erinnert an Sally Rooney, auch durch das Fehlen von Anführungszeichen, doch Docherty schafft es, eine ganz eigene Sprache zu finden: roh, direkt, poetisch – mit einem untrüglichen Gespür für Zwischentöne. Im Zentrum steht die Freundschaft zur charismatischen, lebenshungrigen Ella. Sie ist Stütze und Schwachstelle zugleich, Rettungsanker und Abgrund. Während sich die Ich-Erzählerin durch ein unstetes Leben voller Partys, Jobs, Affären und innerer Unruhe treiben lässt, bleibt Ella der Fixpunkt – bis das Ungleichgewicht ihrer Beziehung zu kippen droht. Besonders eindringlich ist die Darstellung der chronischen Krankheit Endometriose: Schonungslos, ehrlich und ohne falsches Pathos zeigt Docherty, wie diese Diagnose das Leben der Protagonistin durchzieht – körperlich, psychisch, sozial. Wer selbst betroffen ist oder Betroffene kennt, wird sich gesehen fühlen. Wer davon noch nie gehört hat, wird es nach diesem Buch nicht mehr vergessen. Was bleibt, ist eine Geschichte voller Widersprüche: wild und traurig, zart und laut, vertraut und fremd. Ein Roman, der nicht nur erzählt, sondern spüren lässt – den Schmerz, die Sehnsucht, die Leere, die Hoffnung. Und die Liebe, die manchmal nicht reicht.