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Posted on 13.5.2025

Mit Die Inselschwimmerin legt Lorraine Kelly – bislang vor allem als britische Fernsehjournalistin bekannt – ihr Romandebüt vor. Entstanden ist ein gefühlvoller, zeitweise sehr bewegender Roman über Familie, Schuld, Vergebung und das Finden von innerem Frieden – angesiedelt vor der rauen, atmosphärisch dichten Kulisse der schottischen Orkneyinseln. Inhalt & Handlung Im Mittelpunkt steht die 38-jährige Evie, die nach zwanzig Jahren in London auf die Orkneys zurückkehrt, um sich von ihrem sterbenden Vater zu verabschieden. Sie kommt zu spät – doch sie beschließt zu bleiben und sich ihrer belasteten Vergangenheit zu stellen. Das Verhältnis zu ihrer jüngeren Schwester Liv ist zerrüttet, ein traumatisches Ereignis liegt wie ein Schatten über der Familie. Während Evie das Elternhaus auflöst, findet sie Anschluss an eine Gruppe von Kaltwasserschwimmerinnen – starke Frauen, die ihr helfen, wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen. Die Handlung wird auf drei Zeitebenen erzählt: – Evies Kindheit ab den 1960er-Jahren – Die dramatischen Geschehnisse im Jahr 2004 – Ihre Rückkehr im Jahr 2024 Dieser Aufbau schafft Spannung, lässt Raum für emotionale Tiefe und verleiht der Geschichte Struktur. Die zentrale Frage – welches Geheimnis Evie in die Flucht trieb – wirkt als verbindendes Element zwischen den Zeitebenen und hält die Leserschaft über weite Strecken in Atem. Sprache & Stil Angela Koonens Übersetzung ist einfühlsam und klar. Lorraine Kelly schreibt in einem angenehm flüssigen, bildhaften Stil, der manchmal etwas altmodisch wirkt, aber gut zur Atmosphäre der Inselwelt passt. Die wechselnden Perspektiven und Zeitsprünge ermöglichen einen tiefen Einblick in die Seelen der Figuren – vor allem Evies innerer Konflikt, ihre Schuldgefühle und ihr Weg zur Selbstvergebung sind überzeugend und nahbar dargestellt. Charaktere Die Figurenzeichnung ist vielschichtig, wenn auch nicht durchweg subtil. Evie wirkt authentisch, ihre Entwicklung glaubwürdig. Besonders gelungen ist auch die Figur von Freya – eine warmherzige Freundin ihres Vaters und eine Art moralischer Kompass im Roman. Liv hingegen bleibt in ihrer Rolle als destruktive Schwester etwas überzeichnet. Auch die Eltern – besonders die Mutter Cara – bedienen eher stereotype Rollenmuster. Trotzdem gelingt es der Autorin, das Spannungsverhältnis innerhalb dieser zerrütteten Familie nachvollziehbar zu machen – und letztlich eine Geschichte zu erzählen, in der es um das Ringen um Anerkennung, Liebe und Wahrheit geht. Stärken & Schwächen Besonders positiv hervorzuheben ist der emotionale Tiefgang des Romans sowie das feine Gespür für zwischenmenschliche Spannungen. Auch die landschaftliche Kulisse der Orkneys bietet ein reizvolles Setting – obwohl hier atmosphärisch noch mehr möglich gewesen wäre. Weniger überzeugend ist die Vielzahl an gesellschaftlichen Themen (Trauer, psychische Erkrankungen, LGBTQ, Krebs, Gewalt, Alzheimer u.a.), die zum Teil recht konstruiert wirken und nicht immer ausreichend auserzählt werden. Gegen Ende verliert der Roman etwas an Tempo und Stringenz – einige Handlungsstränge werden rasch aufgelöst, manches wirkt überhastet oder zu plakativ. Auch der Titel und die Bewerbung als „Schwimmroman“ sind leicht irreführend – das Schwimmen spielt nur eine symbolische, eher randständige Rolle. Fazit Die Inselschwimmerin ist ein gefühlvoller Roman über den Mut zur Versöhnung, die Kraft weiblicher Solidarität und die Suche nach Zugehörigkeit. Lorraine Kelly gelingt ein stimmiges Debüt, das trotz kleiner Schwächen überzeugt. Wer Familiengeschichten mit Tiefe, emotionaler Entwicklung und einer Prise Inselatmosphäre mag, wird hier fündig.

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