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Posted on 12.5.2025

Poesie der Trostlosigkeit Nach dem gefeierten Welterfolg „Auf Erden sind wir kurz grandios“ legt Ocean Vuong endlich seinen lang erwarteten zweiten Roman „Der Kaiser der Freude“ vor. Und wie schon beim Debüt gelingt Vuong eine zutiefst bewegende Geschichte über Identität, Schmerz und die flüchtige Hoffnung auf Erlösung. Der neue Roman ist deutlich umfangreicher als der erste, doch thematisch knüpft Vuong an sein bisheriges Werk an: Wieder steht ein junger Amerikaner vietnamesischer Herkunft im Mittelpunkt, der versucht, seinen Platz in einer Welt zu finden, die ihm kaum Raum zum Atmen lässt. Hai, der Protagonist, befindet sich zu Beginn des Romans in einem Zustand völliger Desorientierung. Bereits als Jugendlicher ist er abhängig von Pillen, verloren, erschöpft und seelisch gebrochen. Ein Sprung von einer Brücke scheint in greifbarer Nähe, doch in letzter Sekunde wird Hai von einer älteren Frau gerettet: Grazina, eine exzentrische Litauerin mit körperlichen Gebrechen und einem Geist, der in der Vergangenheit verhaftet ist. Sie lebt in einem Haus, das ebenso von Erinnerungen wie von Halluzinationen bewohnt wird – Spukgestalten, die ihr keine Ruhe gönnen. Hai zieht vorübergehend bei ihr ein, und so beginnt eine ungewöhnliche Beziehung zwischen zwei zutiefst verletzten Menschen. Im weiteren Verlauf entwickelt sich „Der Kaiser der Freude“ zu einem modernen Bildungsroman – allerdings nicht im klassischen Sinne. Hais Entwicklung verläuft nicht geradlinig, es gibt keine großen Ziele, keine spektakulären Wendungen. Und doch geschieht Wandel. Er findet eine Stelle in einem heruntergekommenen Diner, lernt andere Gestrandete kennen: Menschen, die sich tagein, tagaus durch einen entmutigenden Alltag kämpfen. Die Realität, die Vuong zeichnet, ist weit entfernt von den Versprechungen der Werbung: Sie ist grau, von harter Arbeit und geringen Aussichten geprägt. Und doch erwächst zwischen den Figuren eine stille Solidarität, ein zartes Gefühl von Zusammenhalt, das sich wie ein feiner Lichtstrahl durch die düstere Szenerie zieht. East Gladness, der Handlungsort, wirkt wie ein Ort kurz vor dem Verfall – trist, melancholisch, beinahe entrückt. Die Atmosphäre des Romans erinnert an Herbstabende, wenn das Licht schwindet und die Welt in Schatten getaucht wird. Doch gerade in dieser Trostlosigkeit liegt Vuongs große Kunst: Immer wieder lässt er Hoffnungsschimmer aufblitzen, die mehr gespürt als ausgesprochen werden. Hai ist dabei ein ungewöhnlicher Held – nicht, weil er große Ambitionen verfolgt (sein Traum, zu schreiben, bleibt vage und unerfüllt), sondern weil er durchhält. Jeden Tag aufs Neue. Die Beziehung zu Grazina vertieft sich dabei zunehmend. Je mehr sie sich von der Realität entfernt, desto stärker wird Hais Rolle als Stütze. In ihrer gemeinsamen Verletzlichkeit entsteht eine leise, aber tragfähige Verbindung. Der Roman folgt dabei keinem klassischen Spannungsbogen. Es gibt kein Ziel, das erreicht werden müsste, keinen großen Abschluss. Vielmehr konzentriert sich Vuong auf die inneren Bewegungen seiner Figuren – ihre Erinnerungen, Verluste und Versuche, zu verstehen, woher sie kommen und wohin sie wollen. Hai setzt sich mit seiner Herkunft auseinander, mit seiner Mutter, mit dem Schmerz seiner Vergangenheit – und schafft es, wenigstens ansatzweise Frieden zu finden. Stilistisch bleibt Vuong sich treu. Seine Sprache ist poetisch. Besonders die Eröffnung des Romans ist von solcher sprachlichen Kraft, dass man einzelne Sätze mehrfach lesen möchte. Diese Poesie ist jedoch nicht konstant – in manchen Passagen wirkt die Sprache flüchtiger, weniger ausgefeilt. Dennoch ist es der Übersetzung von Anne-Kristin Mittag und Nikolaus Stingl hoch anzurechnen, wie viel von Vuongs Tonfall erhalten bleibt. „Der Kaiser der Freude“ ist ein leiser, eindringlicher Roman, der nicht mit Handlung glänzt, sondern mit Tiefe. Was auf den ersten Blick ziellos und fragmentarisch wirkt, entpuppt sich als präzises Porträt einer jungen Seele im Aufbruch. Ein Buch, das die hässlichen Seiten des Lebens zeigt, und dennoch schön ist.

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