
mabuerele
„...Sie sackte gegen die Tür und verstand, dass es noch einen stärkeren Schmerz als den Geburtsschmerz gab. Den Schmerz, wenn ein Mutterherz voll Sehnsucht brannte...“ Diese Zeilen stammen aus dem Prolog. Eine junge Frau hat lange vor der Geburt eingewilligt, dass ihr Kinder zur Adoption freigegeben wird. Jetzt bereut sie es. Doch es ist zu spät. Dann wechselt die Handlung nach Hamburg ins Jahr 1955. Die Autorin hat einen berührenden historischen Roman geschrieben. Auch 10 Jahre nach Kriegsende suchen nach wie vor Eltern ihre Kinder und umgekehrt. Das steht im Mittelpunkt der Geschichte. Der Schriftstil ist fein ausgearbeitet. Er bringt die Probleme auf den Punkt. Im Kindersuchdienst in Hamburg arbeiten die unterschiedlichen Frauen. Eine von ihnen ist die 23jährige Annegret. Als deren Vertrag verlängert werden soll, lässt sie ihr Vorgesetzter Jochen Krüger wissen: „...Doktor Seppelfricke hat wohl Mitleid mit Ihnen. Anders kann ich mir seine Anweisung nicht erklären […] Außerdem setzt er darauf, dass Sie als unverheiratete und kinderlose Frau eine besonders zuverlässige Mitarbeiterin sein werden...“ Ginge es nach Krüger, dann wäre das Annegrets letzter Arbeitstag gewesen. Er wirft ihr vor, dass sie erhebliche Probleme beim Lesen und Schreiben hat. Dabei weiß er noch nicht einmal, dass Annegret einen 6jährigen Sohn hat. Annegret zeichnet sich allerdings durch ihre Empathie gegenüber den Kindern und deren Eltern aus. „...Carl-Gustav wird dir ein guter Ehemann sein. Er ist erfolgreich, weltoffen und sehr von dir angetan...“ Dieser Tag bringt Charlotte von Dahlhäuser den Schock ihres Lebens. Sie hatte davon geträumt, mit ihrem Vater die Reederei zu leiten oder auf seinen Schiffen zu fahren. Stattdessen wird ihr ihr künftiger Ehemann vorgestellt, den sie weder ausstehen kann und schon gar nicht liebt. Kurzerhand verlässt sie ihr Elternhaus. Sie kommt bei ihrer ehemaligen Kinderfrau Femke unter, muss sich aber eine Arbeit suchen. Unter falschem Namen stellt sie sich beim Kindersuchdienst vor und wird genommen. Die Umstellung ist hart, aber sie kämpft sich durch. Das Buch hat mich schnell in seinen Bann gezogen. Dafür sorgen die unterschiedlichen Schicksale, die hier zu einer fesselnden Handlung voll innerer Spannung verwoben werden. Es zeigt sich, wie schwierig es ist, Familien wieder zusammenzuführen. Selbst wenn sich Eltern und Kinder finden, bedarf es von Seiten der Erwachsenen viel Feingefühl, um eine neue Beziehung aufzubauen und die Verletzungen der Vergangenheit vergessen zu machen. Nicht immer sind es nur die Eltern, die eine Suchanzeige aufgeben. Manchmal wenden sich auch Kinder an den Dienst. Spannend fand ich außerdem die Beschreibung der Methoden, die darauf abzielen, dass wirklich die richtigen Eltern gefunden werden. In der Zeit ohne DNA - Vergleich war das schwierig. „...Hilfreich für den Bildervergleich sind sehr individualtypische Merkmale, die nur wenige Menschen aufweisen: zwei verschiedenfarbige Augen, auffällige Muttermale, ein Augenfehler oder das Vorhandensein einer Zwischenbraue...“ Ein inhaltsreiches Nachwort vertieft die Thematik. Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es ist sehr vielschichtig, denn es lässt auch Raum für das Privatleben der Frauen, die im Suchdienst arbeiten.