
gwyn
Still having fun? Der Anfang: «Muss der verdammte Träger ihres BHs ausgerechnet jetzt reißen? Sie hat ihn doch zu Hause noch sorgfältig angenäht. Während sie dem Ordner, auf dessen Jacke »Security« steht, durch einen langen Flur folgt, stopft sie den losen Träger in den linken Cup des BHs und hofft, ihre Bluse möge die dadurch entstandene Ausbuchtung ausreichend kaschieren. Vor einer eisernen Tür bleiben sie stehen. Der bullige Mann dreht sich um und bedeutet ihr mit einer Geste des Kopfes einzutreten. Da steht sie nun. Ganz allein in einem Raum voller Menschen. Und mit im Raum: die Band.» Fünf Musiker, drei Konzerte, eine Stadt in der Provinz. Eine Woche im Leben der erfolgreichen Band nbl/nbl, die vor allem ihren Erfolg feiern will. FUN! Backstagepartys mit Girlies, die dafür ausgesucht werden. FUN! FUN! Ganz egal, wie hoch der Preis ist, den andere dafür zahlen müssen. Drei Frauen, die alle mit der Band zu tun bekommen. Für Ljilja wird ein zunächst spektakulärer Abend im Backstagebereich zum schlimmsten ihres Lebens. Liane wird durch das Wiedersehen mit der Band endgültig von der Vergangenheit einholt. Und ihre Tochter Maila wird von einem Geheimnis erfahren, dass sie von den Socken reißt. Es wird eine Woche, nach der nichts mehr so ist, wie es war. «Doch im Backstagebereich ist die erste Ernüchterung eingetreten. Hier sind andere Frauen. Viele. Und eine hübscher als die andere. Sie sieht bei allen denselben After-Show-Aufkleber, den auch sie bekommen hat. Ass ist darauf zu lesen. Der Ass-Pass, oder was soll damit gemeint sein? Auf sie wirkt dieser nicht gerade subtile Männerhumor eher befremdlich, doch sie muss feststellen, dass sich einige der Frauen den Sticker tatsächlich auf ihre Hintern geklebt haben. Die meisten aber praktischerweise auf die Brust.» Bela B Felsenheimer muss es ja wissen. Er sagt, die Story habe nichts mit den Ärzten zu tun; schon gar nicht mit den Vorwürfen gegen Till Lindemann, Frontmann der Band Rammstein, der wegen sexueller Übergriffe auf den Aftershowpartys angezeigt wurde. Das Buch wäre zu dem Zeitpunkt bereits geschrieben gewesen. Alena Makeeva sagte dazu, sie sei von einer Mitarbeiterin Rammsteins angesprochen und gefragt worden, ob sie zur Aftershowparty von Till Lindemann kommen möchte. Auf der Party sei es zu sexuellen Handlungen zwischen ihr und dem 60-jährigen Sänger gekommen sein, die sie nicht wollte. Es gab alkoholischen Getränke, die ihrer Meinung nach K.o.-Tropfen enthalten hätten, auch ist vom Konsum anderer Drogen die Rede. So weit die Realität. So weit der Inhalt dieses Romans. Wenn Rammstein keine Vorlage war, so scheint es der Realität zu entsprechen, was im Backstagebereich von Rockmusikern vor sich geht. Da wird man gleich ganz grün im Gesicht. Kleine Mädchen, die nach Vorliebe der Stars von Mitarbeitern des Teams gecastet werden – und die Angesprochenen sind mega, mega happy, bei der Aftershowparty der alten Daddies dabei zu sein. «Maila taucht auf, als der Lärm einem fluffigen Beat weicht. Gesang setzt ein. Die Stimme ist bassig, männlich, wirkt aber auch sensibel. ‚Du lässt mich warten, mich verzehren und wirst doch gar nichts mir verwehren.‘ Obwohl die Worte für sie nicht viel Sinn ergeben, berührt sie etwas am Klang der Stimme. Sie schiebt es auf die Aufregung wegen Samstag.» Felsenheimer berichtet über das Geschäft mit Macht, über Scham, Schuld und Gerechtigkeit – und über diejenigen, die den Preis dafür zahlen, dass der Spaß für andere grenzenlos ist. Seine eigene Scham über eigene Geschichten? Rockmusiker müssen harte Kerle sein. Das impliziert auch Gewalt gegen Frauen? Nur Rockmusiker? Sind die Schlagersternchen besser? Wahrscheinlich nicht. Das ganze Showbizz ist ein Moloch an Gewalt gegen Frauen (teilweise auch gegen Männer). Macht ausüben! Angefangen mit der Besetzungscouch: bist du nicht willig, mache ich dich fertig, denn ich habe die Macht, dir in der Branche den Zutritt zu versperren. Die Macht der Musiker, Schauspieler usw. über ihre Fans zu herrschen – soweit diese sich darauf einlassen in ihrer Besessenheit. Mädchen, die wie die Maus vor der Schlange erstarren, sich nicht wehren, bzw. willenlos gemacht wurden. Das alles ist schlicht widerlich. Machtmissbrauch weil sie es können! Und wenn wir weitergehen, passierte das früher regelmäßig in Chefetagen, wahrscheinlich auch noch heute hin und wieder. Aber zurück zum Buch. Eine Rockband von Gruftis mit misogynen Texten. Männer sind Schweine … insbesondere Rocker. Sie lassen von einem Mitarbeiter «Ass-Pässe» (ist ass nicht im am. Englisch die Abkürzung für Arsch?) an besondere Leckerbissen für die Aftershowparty verteilen. Vorgabe: Das «Fleisch» muss jung sein. Drei Frauen. Eine, die unter die Räder kommt, die Anzeige erstattet, eine die vor Jahren unter die Räder kam, als man sich als Frau noch nicht wehren konnte, und eine, der man zutraut, sich direkt im Angesicht wehren zu können. Ein Aufschrei in der Öffentlichkeit! Die Ermittlungen laufen. Viel mehr will ich nicht verraten. Mache Lesende hat der Roman verstört, sagen sie, und ich fragte mich, in welcher heilen Welt sie leben. Man könnte Seite für Seite kotzen über dieses Machogehabe, das hier beschrieben wird. Dieser Roman hat einen widerlichen Sog, ohne Frage. Trotz allen ekelerregenden Inhalts finde ich ihn klasse. Gut geschrieben, spannend, und so verdammt widerlich-ehrlich. Richtig für die Verstörten, deren heile Welt Risse bekommen habt, wichtig für die Öffentlichkeit – es ist gut, dass der Stoff auf dem Tisch liegt, denn glaubhafter als Bela Felsenheimer kann damit keiner sein. Und Lindemann würde man solche Ehrlichkeit eh nicht zutrauen. Klar, wird hier mit Klischees gearbeitet – aber die gehören bei solchem Stoff dazu. Wechselnde Perspektiven, Cliffhanger, Frauen, Bandmitglieder, Mitarbeiter. Was mich manchmal irritiert hat waren zwei Namen Maler Meister und Maila, eine junge Frau. Maler, Maila … Mala ist der Frontmann, der Traum aller Groupies. Der textet zusammen mit seinem Schlagzeuger: ihr Dingsda ist bei allem dabei. Und dann kloppen sie sich gegenseitig auf die Eier. Fremdschämen sollte sich Bela. So einen ganz Großen haben sie allerdings im Kopf sitzen, denn das Gehirn hängt verkrüppelt stets in der Hose, denke ich mir als Leserin. Ach Bela, ist das so? Eine schreckliche Vorstellung. Der Verlag verkauft das Buch als Gesellschaftsroman. Das hätten sie gern. Nein, das ist ein minimaler Teil der Gesellschaft – ein widerlicher. Denn die meisten Menschen verabscheuen ein solches Verhalten. Mir fehlt ein Nachwort von Bela B Felsenheimer, ein Bekenntnis der eigenen Fehler, die der Band; denn Engel sind die Ärzte garantiert nicht. Eine Entschuldigung an all die Frauen, die missbraucht wurden. Und das Bekenntnis, das verstanden zu haben, es niemals wieder zu tun. Denn Fiktion ist eins, aber die entsteht im Kopf aus Erfahrungen, auf die man zurückgreifen kann. Auch die Die Ärzte stehen in der Kritik. Ein Videoausschnitt, der anscheinend auf einem Konzert 2023 aufgenommen wurde, zeigt Farin Urlaub, Bela B und Rodrigo González in Luxemburg. Darin machen Sänger und Schlagzeuger Witze über K.o.-Tropfen in Verbindung mit Sex. «Es heißt im Song: «Farin, ich will Dich ficken. Wenn Du nein sagst, das ist keine Option. Trink von diesem Glas.» Und später: «meine K.o.-Tropfen homöopathisch sind.» Bela B. sagt: «Am nächsten Morgen wachte ich auf und dachte Ballaballa …». Das sei «viel schlimmer als blaue Flecken.» Farin Urlaub ergänzt dann, sein Bett sei «total verklebt.» Die Krönung dann: «Guter Sex ist, wenn sie sich wehren.» Wie wäre es mal mit Selbstanalyse zu Misogynie? Da hat Bela gekniffen. Alles Fiction. Nee, nee. Es reicht nicht, mit dem Finger auf andere zu zeigen, wenn man selbst genug Dreck am Stecken hat. Bela B Felsenheimer, geboren 1962 in West-Berlin, ist Schlagzeuger, Gitarrist, Komponist, Sänger, Schauspieler, Synchron- und Hörbuchsprecher, war Comicbuch-Verleger und hatte eine eigene Radiosendung. Bekannt ist er vor allem als Mitglied der Punkrock-Band die Ärzte. Sein Debütroman Scharnow stieg sofort auf Platz 2 der SPIEGEL-Bestsellerliste ein und wurde von der Presse gefeiert. Fun ist sein zweiter Roman.