
Buchdoktor
Elin Anna Labba erzählt von Rávdná/Ragnhild, ihrer verwitwete Schwester Ànne und der 13-jährigen Ingà. Seit Generationen hatten die Frauen als Fischerinnen gearbeitet und ein paar Rentiere gehalten, weil es sich in der nomadischen Kultur so ergab. Sie lebten abwechselnd in ihrer aus Torf gebauten Sommerkote am See und in ihrer Winterbaracke. Rávdná verkauft darüber hinaus Schnitzereien und traditionelle Handarbeiten. Ohne regelmäßige Unterstützung durch den verwitweten Elle Ànte (m) könnten die Frauen allein keine Rentiere halten. Als Mutter und Tante im Verlauf der Handlung körperlich schwächer werden und absehbar als Arbeitskräfte ausfallen werden, weckt die Veränderung Ingàs Existenzängste, die sich ein Leben ohne die Gemeinschaft der Sámi und die beiden Älteren schwer vorstellen kann. Wer nicht mehr arbeiten konnte, ging bisher traditionell in den See, da der Tod in der eigenen Hütte tabubehaftet war … Labbas Figuren altern im Verlauf verstörend schneller Szenenwechsel, ihr Verfall verläuft parallel zu den Umbrüchen in der Landschaft. Inga findet zwar Arbeit als Hausmädchen, wirkt ohne die ihr vertrauten Strukturen und Rituale jedoch ihr Leben lang entwurzelt. Als ein Staudamm für ein Wasserkraftwerk gebaut und das Tal schrittweise geflutet wird, stoßen die Kulturen sesshafter Schweden und nomadischer Sámi aufeinander. Die Anwohner des Sees hatten gehofft, dass das Auffüllen des Tals Jahre dauern würde und nicht realisiert, dass es noch in der eigenen Lebenszeit abgeschlossen sein würde. Nun leben sie in Sichtweite eines Kraftwerks, dessen Strom sie nicht nutzen können, weil sie nicht Besitzer ihrer Grundstücke sind. Die Frauen haben keine Alterssicherung, ihr Vermögen steckt in Haus und Boot. Sie verlieren nicht nur das Grab von Ingàs Vater auf einer Insel im See, sondern ihre Kultur. Eine Torf-Kote ist nicht irgendeine Hütte, sondern Handwerkskunst und Ausdruck ihrer nomadischen Lebensweise, Rentieren hinterher zu ziehen. Mutter Rávdná, die bisher nur die Natur um Erlaubnis für ihr Handeln gefragt hat, realisiert nicht, dass das Land, auf dem ihre Kote steht, dem Staat gehört. Sie kann kaum Lesen und Schreiben und ist mit der „großen Sprache“ Schwedisch überfordert. Da die Sámi nicht sesshaft werden sollen, erhalten sie trotz Zwangsumsiedlung keinen Baukredit, ein Schildbürgerstreich der schwedischen Bürokratie. Fazit Ergänzend zum Dreieck aus Ann-Helen Laestadius „Die Zeit im Sommerlicht“, „Leuchten der Rentiere“ und Pylväinens „Das letzte Leuchten im Winter“ erzählt Elin Anna Labba vor dem historischen Hintergrund eines Staudammbaus vom erzwungenen Übergang eines nomadischen Volks in die Sesshaftigkeit. Am Schicksal dreier allein wirtschaftender eigenwilliger Frauen wird die Entfremdung von der eigenen Kultur und die Ignoranz des schwedischen Staates gegenüber der Sámi-Kultur deutlich.