
Dreamworx
Wer die Wahrheit sucht, darf nicht erschrecken, wenn er sie findet. - Chinesisches Sprichwort 50er Jahre Köln. Mit der Herstellung von Batterien hat Wilhelm Liefenstein ein Industrieimperium gegründet, dass nicht nur vor, sondern auch nach dem Zeiten Weltkrieg weiterhin sehr erfolgreich ist. Nach einem Unfall möchte Enkelin Cosima eine Stiftung für bedürftige Frauen und Mütter ins Leben rufen, aber ihr Onkel Theodor, der das Vorhaben grundsätzlich unterstützt, zeigt Cosima ihre Grenzen auf. Die Begegnung mit dem Journalisten Leo Markgraf, der über den Tod des befreundeten Anwalts Walter Weber recherchiert, dessen öffentliche Anprangerung der Liefensteins für Unruhe sorgte, sowie ein Dachbodenfund alter Fotos lassen Cosima keine Ruhe. Gemeinsam mit Leo geht sie auf Spurensuche und recherchiert in ihrer eigenen Familiengeschichte. Schon bald sieht sich Cosima mit unschönen Wahrheiten konfrontiert. Ihre Recherche bleibt nicht verborgen, so dass sehr einflussreiche Menschen sie unbedingt davon abbringen wollen... Claire Winter hat mit „Die Erbin“ einen sehr tiefgründigen und vielschichtigen historischen Roman vorgelegt, der dem Leser nicht nur deutlich macht, wie sehr Macht, Einfluss, Reichtum und Politik miteinander verwoben sind, sondern wie diese vor, während und nach dem Krieg immer noch miteinander verbunden sind und sowohl Politik als auch die Unternehmen voneinander profitiert haben. Der flüssige, bildhafte und empathische Erzählstil schleust den Leser mit den ersten Zeilen mitten hinein in die Handlung, die über zwei Zeitebenen stattfindet und ihn zum einen die Gegenwart in den 50er Jahren gemeinsam mit Cosima erleben, zum anderen die Vergangenheit der Liefensteins ab 1929 wieder lebendig werden lässt, in der auch die Nazis immer mehr an Einfluss gewannen. Die Einblicke von Cosimas Vater Edmund, ihrem Onkel Theodore und dem Kindermädchen Elisa Kopper liefern dem Leser den Rahmen für die in der Gegenwart angestellten Nachforschungen von Cosima. Der Autorin gelingt es hervorragend, die beiden Handlungsebenen miteinander zu verknüpfen. Der Roman gleicht einem Puzzle, dessen Steine nach und nach ein vollständiges Bild ergeben. Die Familiengeschichte der Liefensteins wird aus diversen Perspektiven wiedergegeben, wobei die Ansichten der einzelnen Protagonisten unterschiedlicher nicht sein könnten. Dabei greift Winter nicht nur Themen wie die Zwangsarbeit unter den Nazis auf, sondern spiegelt die Entwicklung der Industriellenfamilie, der Gesellschaft sowie den Kampf gegen damalige Konventionen auf herausragende Weise wider. Auch die unausgesprochenen dunklen Geheimnisse, das Schweigen und die unterschiedlichen Weltanschauungen finden ihren Platz in der Geschichte. Winter lässt den Leser tief in eine Familiengeschichte eintauchen, die genau so sicherlich in der Realität mehr als einmal stattgefunden hat. Die Autorin lässt den Leser das gesamte Gefühlsbarometer durchlaufen, während er an den Seiten klebt und dabei ein sagenhaft spannendes Kopfkino erlebt. Die Charaktere wirken mit ihren menschlichen Ecken und Kanten sehr lebendig und vermitteln dem Leser das Gefühl, sich mitten unter ihnen zu tummeln und ihr Schicksal hautnah zu verfolgen. Cosima ist eine Frau, die ihren eigenen Kopf hat. Sie besitzt Durchsetzungsvermögen, Integrität, Sensibilität, aber auch Kraft genug, sich Widrigkeiten in den Weg zu stellen. Sie ist mutig und dabei innerlich auch ängstlich vor den Dingen, die sie wohl herausfinden wird. Leo ist ein ehrlicher Mann, der den Dingen auf den Grund geht und sich davon auch nicht abbringen lässt. Theodor ist ein Patriarch, wie er im Buche steht. Er will die Fäden in der Hand behalten, egal was es kostet. Edmund hat seine Prinzipien und seine Tochter ist ihm darin sehr ähnlich. Aber auch die Bekanntschaft mit Elisa ist ein besonderes Geschenk für den Leser. „Die Erbin“ ist ein herausragender historischer Roman, der keine Leserwünsche offen lässt. Dunkle Geheimnisse einer Familie gepaart mit ausgezeichnet recherchiertem Hintergrund sowie einer starken Hauptprotagonistin, die den unter den Teppich gekehrten Dreck endlich ans Licht bringt, verzaubern den Leser von der ersten bis zur letzten Seite. Der Gedanke, dass all dies bestimmt mehrfach so in der Realität geschehen ist, macht die Handlung noch faszinierender. Absolute Leseempfehlung für einen Pageturner der Superlative – Chapeau!!!