
biancaneve66
Eine poröse Kette von Frauen Die Familiengeschichte dreier Frauen erstreckt sich über einen Zeitraum von achtzig Jahren. Im Zweiten Weltkrieg flieht die Großmutter aus Polen in den Libanon, wo sie eine der ersten Chemikerinnen wird; die Mutter gibt den Libanon für ein Leben als Medizinerin in Deutschland auf und die Tochter, die Informatik studiert, will zurück nach Polen, um ihre Geschichte zu verstehen. Durch die Wissenschaft sind alle drei verbunden, ansonsten besteht keine richtige Beziehung mehr. Studentin Lucy spricht seit Jahren nicht mit ihrer Mutter, erhält aber plötzlich den verhassten Flügel, auf dem sie als Kind spielen lernen musste. Er erinnert sie an ihre allzu behütete Kindheit, die hohen Ansprüche ihrer Mutter und die fehlende Nähe. Als Lucy den polnischen Geburtsnamen ihrer Großmutter entdeckt, macht sie sich auf die Reise nach Polen, wo sie die losen Fäden ihrer Familie zusammenführen will. Das Cover mit dem Ausschnitt einer abgebildeten Person könnte vieles verkörpern. Am ehesten noch den „Teil“, aus dessen Summe wir laut Titel bestehen. Und dieses Thema zieht sich durch den gesamten Roman. Die Geschichte spielt auf drei Zeitebenen, häppchenweise erfährt das Publikum „Teile“ aus dem Leben der drei Frauen. Erst nach und nach kann man sich ein Bild über die Charaktere machen. Allerdings kein vollständiges, denn nicht alles wird ausgesprochen. Und an der Aussprache mangelt es auch in den Beziehungen der drei Frauen zueinander. Man würde sich wünschen, dass sie an vielen Stellen einfach aufeinander zugehen, miteinander kommunizieren und sich gegenseitig verstehen. Aber das passiert nicht – jedenfalls nicht so, wie es sein könnte. Der Schreibstil ist stilistisch an das wissenschaftliche Fachgebiet der Frauen angelehnt; allerdings nur ganz zu Beginn des Buchs, dort allerdings geballt. Sprachlich enthält dieser Roman aber auch viele schöne Bilder; Zitate, in denen viel Wahrheit steckt und die man sich gerne notiert, möchte ich als Stärke dieses Romans bezeichnen. Aber auch sie bleiben leider immer nur in den Gedanken der Frauen. Richtige Sympathie konnte ich zu keiner der Protagonistinnen aufbauen. Zu fremd waren sie mir in ihren Entscheidungen und überhaupt als Personen. Zu sehr in sich gekehrt und auch zu sehr auf sich selbst bezogen. Den wenigsten Bezug konnte ich zur jungen Lucy herstellen. Sie kam mir weniger wie eine junge Frau als eher wie ein trotziges Kleinkind vor. Allerdings – jede der Frauen hatte ihre Gründe, sich so zu benehmen, wie sie es eben tat. Die Väter in dieser Familie verhalten sich passiv, eigentlich vollkommen unbeteiligt. Sie bekommen neben den starken Frauen auch gar keinen Raum. Der Roman wirkt noch länger nach; es ist schwer ihn zu beurteilen, weil viele „Teile“ einfach gar nicht greifbar gemacht werden. Gerade von diesem Nicht-Gesagten, von diesen Missverständnissen und eigentlich auch der Oberflächlichkeit, mit der die drei Charaktere beschrieben werden, lebt diese Geschichte. Und auch das Ende bleibt offen.