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Es gibt Phasen im Leben, an denen die Einschläge im Alltag näher kommen. Die Einschläge, denen man sehr gerne aus dem Weg gehen möchte. Denn sie sind unbequem, und erinnern einen an die Vergänglichkeit des eigenen Lebens. Diese Einschläge können der unbarmherzige Tod von Freunden sein, aber auch die Diagnose von schlimmen Krankheiten. In „Das späte Leben“ von Bernhard Schlink geht es um Martin, der bereits 76 ist. Sein Arzt eröffnet ihm, dass er aufgrund seiner Krebsdiagnose nur noch wenige Monate zu leben hat. Zwar kann man ihn medikamentös noch so einstellen, dass evtl. was zu machen ist, aber Martin entscheidet sich dagegen. Doch wie geht man mit so einer Situation um? Hinzukommt: seine Frau ist deutlich jünger, der gemeinsame Sohn könnte sein Enkel sein. Er weiht seine Frau schlussendlich ein, und nun müssen beide lernen, damit umzugehen. Beiden fällt die Situation sichtlich nicht leicht. Martins Frau überzeugt ihm Schlussendlich, dem gemeinsamen Sohn etwas zu hinterlassen. Vielleicht Videos mit Dingen, die ihm wichtig sind. Vielleicht gemeinsame Erinnerungen, Briefe, oder ähnliches. Die Versuche muten manchmal skurril an, und hinterlassen doch eine berechtigte Frage: Was bleibt vom einzelnen Menschen, der geht? Sind es materielle Dinge wie ein Komposthaufen? Sind es individuelle Botschaften, wie z. B. man sich als junger Mann das erste mal rasiert? Oder basiert das einzelne Leben auf ganz anderen wichtigen Dingen? In diesem Buch muss sich nicht nur das Paar als solches mit der Situation auseinander setzen. Die Frau, die bereits eine Affäre zu einem gleichaltrigen Mann angefangen hat, muss sich überlegen, ob diese Affäre es noch wert ist, oder ob sie lieber ihrem Mann in den letzten Tagen beisteht. Der betroffene Patient muss sich überlegen, wie er gehen will, und was er seiner Familie hinterlässt. Materiell ist es vielleicht noch einfach, Dinge auszumisten, aber was hinterlässt man der Familie? Sind es die eigenen Erinnerungen, Familiengeschichten, ganz individuelle Erlebnisse? Bernhard Schlink hat sich gefühlvoll mit der Situation auseinander gesetzt. Dabei stellt auch er fest: es gibt nicht die eine Lösung. Es gibt so viele Optionen zu gehen, und doch zu bleiben. Was bleibt vom Menschen? Wie geht die Nachwelt mit diesem emotionalem Erbe um? Was ist und bleibt wichtig, was muss man loslassen? Die Balance zwischen Loslassen und Bleiben zu finden, ist nicht einfach. Es ist eine individuelle Entscheidung, eine sehr emotionale Entscheidung, die man nicht so einfach treffen kann. Und meist trifft man sie dann, wenn es meist zu spät ist. Wenn man nicht mehr genügend Zeit hat, sich noch in Ruhe um Dinge zu kümmern, die Bestand für das Umfeld hat, aber auch für einen selbst. Ab wann kann man „entspannt“ gehen, ab wann macht man selbst seinen Frieden, ab wann kann man loslassen? Ein Buch, das mich sehr nachdenklich gestimmt hat, und einen daran erinnert, wie zerbrechlich das Leben ist. Klare Leseempfehlung: Emotional, und schonungslos ehrlich und direkt