monsieur
Drei Geschwister und ein dubioses Familienerbe Mit ihrem neuen Roman „Wo wir uns treffen“ begibt sich die britische Autorin Anna Hope auf das Terrain des Familienromans. Im Mittelpunkt steht ein großes Anwesen, das nach dem Tod des Vaters an die nächste Generation übergehen soll – ein klassisches Szenario, das in der Literatur seit jeher als Ausgangspunkt für innerfamiliäre Konflikte und die Aufarbeitung einer gemeinsamen Vergangenheit dient. Hope bedient sich dabei bekannter Motive, versucht jedoch einen eigenen Weg zu finden, indem sie nicht auf überzeichnete Dramatik oder familiäre Zerwürfnisse setzt, sondern auf leisere Töne – mit wechselhaftem Erfolg. Im Zentrum stehen die drei Geschwister Frannie, Milo und Isa, die nach dem Tod des Vaters in ihr Elternhaus zurückkehren – ein Haus, das sie aus unterschiedlichen Gründen längst hinter sich gelassen hatten. Der Anlass ist die Beerdigung des Vaters und die Frage, wie es mit dem geerbten Anwesen weitergehen soll. Bereits hier zeigt sich, dass das Erbe nicht nur eine finanzielle Belastung darstellt, sondern tiefere Konflikte innerhalb der Familie an die Oberfläche bringt. Dabei folgt Hope einem bewährten literarischen Muster: Die Zusammenkunft anlässlich eines Trauerfalls wird zur Bühne für unausgesprochene Konflikte, alte Verletzungen und tief sitzende Spannungen. Doch anstatt diese auf eskalierende Weise auszuspielen, konzentriert sich die Autorin stärker auf die Auswirkungen, die das Anwesen selbst auf das Leben der Geschwister hat – und auf die Geschichte, die es in sich trägt. Der Roman entfaltet sich dabei in einem gemächlichen Tempo. Vieles wird in Rückblenden erzählt, Erinnerungen an die Kindheit im Haus wechseln sich ab mit Gesprächen in der Gegenwart, in denen die Geschwister über das weitere Vorgehen diskutieren. Frannie, die als Haupterbin im Zentrum der Handlung steht, ist diejenige, die sich für den Erhalt des Hauses einsetzt. Unterstützt wird sie dabei von ihrer kleinen Tochter Rowan, für die sie sich ein behütetes Aufwachsen an jenem Ort wünscht, an dem auch sie selbst groß geworden ist. Milo hingegen bildet den Widerpart. Er hat schon zu Lebzeiten des Vaters geheime Absprachen getroffen, deren Ziel nicht im Erhalt des Hauses, sondern vielmehr in dessen Verwertung liegt. Isa, die dritte im Bunde, bleibt im Hintergrund – mit sich selbst beschäftigt und durch Beziehungsprobleme abgelenkt, wirkt sie häufig wie eine Randfigur. Trotz der bemühten Charakterzeichnung gelingt es Anna Hope nicht, die Figuren mit echtem Leben zu füllen. Zwar werden ihre inneren Konflikte ausführlich beschrieben, und auch ihre Vergangenheiten werden aufgerollt – doch die emotionale Bindung bleibt aus. Besonders Frannie, obwohl sie die meiste Präsenz aufweist, bleibt merkwürdig ungreifbar. Ihre Motive erscheinen nachvollziehbar, aber nicht fesselnd. Milo und Isa sind zwar als Kontrastfiguren angelegt, doch auch sie können dem Roman kaum mehr als eine oberflächliche Dynamik verleihen. Hinzu kommt, dass der große thematische Umschwung im letzten Drittel des Romans beinahe ungeschickt eingeführt wird. Ohne eine wirkliche Vorwarnung offenbart sich eine düstere Vergangenheit des Anwesens – eine Verbindung zur britischen Kolonialgeschichte, die das Ansehen der Familie tief erschüttert. Was auf den ersten Blick wie ein spannendes erzählerisches Element wirkt, erweist sich rasch als enttäuschend unausgereift. Der koloniale Kontext, der in der britischen Literatur ohnehin nur selten aufgegriffen wird, bleibt hier eine Randnotiz. Die Diskussion darüber zwischen den Geschwistern wirkt gezwungen und oberflächlich, das Potenzial dieses Themas wird nicht einmal ansatzweise ausgeschöpft. Hopes Schreibstil indes trägt nicht dazu bei, das erzählerische Defizit auszugleichen. Ihre Sprache ist nüchtern, beinahe blass, und die Dialoge wirken häufig gestelzt oder belanglos. Die Erzählstruktur folgt einem klaren Plan, doch genau dieser Plan ist zu deutlich spürbar. Die Geschichte bleibt auf diese Weise zu sehr ein literarisches Konstrukt – und zu wenig ein lebendiges Familiendrama. Insgesamt hinterlässt „Wo wir uns treffen“ den Eindruck eines Romans, der viel versucht, aber wenig erreicht. Die Idee, das Erbe eines geschichtsträchtigen Anwesens als Katalysator für familiäre Auseinandersetzungen zu nutzen, ist nicht neu – und Hope gelingt es nicht, dieser Konstellation neue Facetten abzugewinnen. Die Figuren sind zu blass, die Konflikte zu gezähmt, die historische Dimension zu oberflächlich. Wer nach einem eindrucksvollen Familienroman sucht, der Generationenkonflikte, emotionale Tiefe und historische Verflechtungen miteinander zu verknüpfen weiß, wird bei diesem Buch enttäuscht. „Wo wir uns treffen“ bleibt hinter seinen Möglichkeiten zurück – ein Roman, der mehr verspricht, als er hält, und dabei letztlich kaum über Mittelmaß hinauskommt.