
mabuerele
„...Besser, du sagst nichts, solange wir auf dem Markt sind. Unsere Sprache ist hier nicht sehr beliebt. Sie wissen zwar auch so, welcher Abstammung wir sind, aber solange wir Kasachisch reden und ihnen gute Waren verkaufen, sehen sie darüber hinweg...“ Das erklärt ihr Vater der 9jährigen Viktoria im Jahre 1947, als sie auf dem Weg zum Markt sind. Die Familie ist deutscher Abstammung und lebte eigentlich auf der Krim, bevor sie nach Kasachstan umgesiedelt wurden. Viktoria träumt davon, Tierärztin zu werden. Das Buch verknüpft vier Schicksale aus unterschiedlicher Zeit miteinander. Für jeden der Protagonisten kommt einmal eine Stunde der Entscheidung. Der Schriftstil ist gut ausgearbeitet. Er bringt die Probleme auf den Punkt und sorgt wegen des schnellen Wechsels von Handlungsort und Personen nicht nur für eine innere Spannung der Geschichte. Das Besondere daran ist, dass der Part von Daniila, der Jüngsten der Vier, als Tagebuchaufzeichnung wiedergegeben wird. In Chile unterhält sich der Bankier Henning von Tresckow mit seinem Freund Kurt über die Entwicklung in Deutschland. „...Du meinst aber nicht diesen vertrottelten, kleinen Schnauzbart, der dem alten Ludendorff das Hirn vernebelt hat, bevor er letzten Herbst in München versucht hat, die Reichsregierung abzusetzen?...“ Kurze Zeit später kehrt Henning nach Deutschland zurück, um das väterliche Gut zu übernehmen. Außerdem bemüht er sich, wieder ins Militär aufgenommen zu werden. „...Am Nachmittag habe ich im Blaumann unter Papas Auto gelegen und die Ölwanne geflickt. Eine Stunde vor dem Abendessen kam ich in die Küche. […} Ich wischte mir das letzte Öl von den Fingern und informierte Papa darüber, dass der Wagen jetzt wieder fahrtüchtig war...“ Wir schreiben das Jahr 2011, als der Lehrer Daniilas Eltern mitteilt, dass ihre Tochter hochbegabt ist. Die Eltern sind Krimdeutsche. Der Vater hält nichts von Abitur und Studium, trotzdem wird Daniila diesen Weg gehen. Der vierte Protagonist in diesem Buch ist Franz. Von ihm lese ich ab dem Jahre 1868. „...Flößer galten zu Recht als verwegene Kerle. Sie waren stark wie Holzfäller, weil sie ihre Flöße selbst bauten und natürlich auch be- und entluden...“ Das Autorenduo blättert vor mir vier Lebensgeschichten auf, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Während Franz mit Thea eine Frau an seiner Seite hat, auf die er sich bedingungslos verlassen kann, landet Viktoria in einer toxischen Beziehung, die ihre Lebensträume gnadenlos zerstört. Interessant ist die Wandlung des Henning von Tresckow. Als er etwas für die Bildung der Soldaten tun will, lässt ihn sein Hauptmann wissen: „...Der gemeine Soldat muss vor allem eins können: gehorchen. Das war so, seit es militärische Organisationen gibt, und wird sich niemals ändern...“ Kurzzeitig findet Henning den Weg des Nationalsozialismus richtig. Das ändert sich schnell. Er wird zu einem der führenden Köpfe des Widerstandes. Seine Frau hat das Regime schon eher durchschaut. Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es sind viele Kleinigkeiten, die der Geschichte ihr ganz eigenes Flair geben.