
Buchdoktor
Als Chloe Dalton mitten auf dem landwirtschaftlichen Weg an ihrem Haus ein perfekt getarntes winziges Feldhasen-Junges findet, vermutet sie, dass ein Hund oder ein Greifvogel die Mutter daran gehindert haben könnte, das Jungtier wieder aufzunehmen. Mit dem Wissen, dass Menschen Jungtiere nicht anfassen sollen, und gegen den ausdrücklichen Rat des Wildhüters entscheidet Dalton sich, das Junge mit der Flasche aufzuziehen. Die Autorin verbringt als typische Städterin normalerweise nur kurze Zeit in ihrem L-förmigen Bauernhaus zwischen Wald und Feldern; ihre Gedanken kreisen sonst um Beratungsaufträge und wochenlange Auslandsreisen. Der Lockdown während der Corona-Pandemie 2020 ermöglicht ihr jedoch, das Hasenjunge mit der Flasche aufzuziehen und intensive Literaturrecherche zum Thema Feldhasen zu betreiben. Da Dalton zunächst nur Informationen zur Zubereitung von Hasenbraten findet, bleibt ihr nichts anderes übrig, als klassische Texte (bis zu Cäsars Gallischem Krieg) und das Wissen von Jägern aufzusaugen. Während die Adoptivmutter erst lernen muss, sich nicht über jedes denkbare Risiko für Junghasen zu sorgen, unterrichtet „Hase“ sie in häsischem Verhalten. Der Gast kommt regelmäßig ins Haus, schätzt eine Umgebung, in der er lange still sitzen und beobachten kann – und legt sich im Garten Mulden an, die sorgfältig von Unkraut freigehalten werden. Nicht Dalton besitzt „Hase“, sondern ihr Besucher erlaubt der Hausbesitzerin, ihn zu beobachten. In dem Moment, als Chloe Dalton erkennt, dass „Hase“ das Grundstück immer aus eigenem Willen verlassen kann, egal, welches Gehege seine Beobachterin anlegen würde, platzt bei ihr zugleich der Knoten des hausgemachten Stress, als Politikberaterin für ihre Klient:innen stets erreichbar sein zu müssen. Die Aufzucht des Hasenkindes konfrontiert Dalton zugleich mit dem schwindenden Lebensraum der Tiere durch industrialisierte Landwirtschaft. Ihre nächsten Projekte werden das Verlängern der klassischen britischen Hecke als Lebensraum an ihrem Grundstück sein, die Schaffung eines Teichs anstelle der ehemaligen Pferdeschwemme und ihr Engagement für die Erhaltung artenreicher Feldraine. Fazit „Hase und ich“ hat mich damit amüsiert, wie seine Autorin als Städterin ihr Hasenwissen erkämpft und wie sie sich schließlich davon freimachen kann, „Hase“ ängstlich jedes Hindernis aus dem Weg schaffen zu wollen – schließlich lauern außerhalb der Natursteinmauer an ihrem Grundstück die nächste Gefahr und der nächste Greifvogel … Auch hatte ich großes Vergnügen mit der Vorstellung, ich würde in Chloe Daltons Abwesenheit ihr Bauernhaus hüten und bekäme dafür eine lange Liste, wie ich Haus und Hof hasenfreundlich zu halten hätte …