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schnaeppchenjaegerin

Posted on 11.3.2025

Die 17-jährigen Zwillingsschwestern Enna und Jale leben bei ihrer schweigsamen Oma Ehmi in einem Dorf an der Lühe im Alten Land. Gespannt zählen sie die letzten Tage und Stunden hinunter bis ihre Mutter Alea aus dem Gefängnis entlassen wird. Sie kennen ihre Mutter nur als Insassin und wissen noch nicht einmal, warum sie zu einer so hohen Haftstrafe verurteilt wurde. Als der Tag der Entlassung gekommen ist, erscheint Alea nicht am vereinbarten Treffpunkt und auch Jale ist spurlos verschwunden. Während ein Boot sinkt und die Polizei nach Alea als mutmaßlich Schuldiger sucht, sucht Enna verzweifelt nach ihrer Schwester, der sie so nah war und die doch Geheimnisse vor ihr hatte. Der Roman wird in der Gegenwart im August 2023 aus der Perspektive der unangepassten Enna geschildert, die nicht nur aufgrund der Inhaftierung ihrer Mutter schon immer eine Außenseiterin war. Sie kann nicht verstehen, wo ihre Schwester ohne sie hingegangen ist, macht sich Sorgen und sucht sie mit Hilfe eines Mitschülers, der sich als treuer Freund herausstellt. Während ihrer Suche zwischen Verzweiflung und Wut erfährt sie endlich den Grund für die Haft ihrer Mutter und warum sich ihre Oma und Großtante entzweit haben. Daneben gibt es gleich mehrere Erzählstränge der Vergangenheit, die wenige Monate zuvor, Mitte der 1980er, Ende der 1970er und bis ins Jahr 1923 zurückreichen und dabei Ereignisse schildern, die die Leben der Vorfahren von Enna und Jale geprägt haben und aufgrund der Schuld und der Geheimnisse, die sie auf sich geladen haben, bis in die Gegenwart wirken und für neue Konflikte sorgen, die Enna noch nicht versteht. Die Geheimnisse werden nur sehr allmählich gelüftet. Lange tappt man als Lesender im Dunkeln und fragt sich, wie die einzelnen Erzählstränge zusammenhängen und was die handelnden Personen in der Vergangenheit getan haben. Die Undurchsichtigkeit sorgt zwar für Spannung, aber auch für eine Unruhe, da viele Details unnötig lange im Verborgenen bleiben und die Handlung in der ersten Hälfte des Romans kaum voranschreitet und mit vielen Fragezeichen belegt ist. Erst als sich im zweiten Teil die Handlungsstränge verknüpfen und bisher Unausgesprochenes offenbart wird, können die Geschichte und die Figuren auch Emotionen wecken und entfalten passend zur Elbströmung einen Lesesog. Die Geschichte ist voller Dramatik und falscher Entscheidungen, wobei man sich mehr als einmal fragt, warum die Protagonisten so handeln wie sie es tun. Auch wenn es Erklärungen durch vorangegangene Traumata und schreckliche Tragödien gibt, die mitunter historische Vorbilder haben, stören die ewigen Geheimnisse den Lesefluss und lassen mitunter an der Glaubwürdigkeit der Figuren zweifeln. Neben den folgenschweren Geheimnissen handelt der Roman von schwierigen Schwesternbeziehungen, von Buße, Einsamkeit, Vergeltung und dem engen Band einer Familie. Die Geschichte besticht durch bildhafte Naturbeschreibungen, die für Atmosphäre sorgen und wird mit sanfter Melancholie erzählt. Es ist ein Familiendrama, das seine Wurzeln tief in der Vergangenheit hat und von einer fatalen Verkettung von Fehlentscheidungen handelt, die den Roman am Ende fast zu einem Thriller werden lassen.

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