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Posted on 18.2.2025

Cristina Henríquez' Roman Der große Riss entfaltet ein faszinierendes Panorama historischer Umbrüche und menschlicher Schicksale zur Zeit des Baus des Panamakanals. Besonders beeindruckend ist ihre Erkundung der Frage, wie nah Fortschritt und Ausbeutung beieinanderliegen und wie tief soziale, ethnische und geschlechtsspezifische Gräben die damalige Gesellschaft durchzogen. Henríquez erzählt aus der Perspektive von Frauen und gibt damit jenen Menschen eine Stimme, die oft im Schatten der großen historischen Narrative stehen. Daher ist dieser Roman heutzutage sehr wertvoll! Die poetische Sprache des Romans, die sich bereits in der atmosphärisch dichten Eröffnung zeigt, entfaltet eine beeindruckende Bildkraft. Francisco, der Fischer, und sein in handwerklicher Präzision gebautes Boot symbolisieren die alte Welt, die mit dem technokratischen Fortschritt der Kanalbauprojekte kollidiert. Henríquez fängt in ihren Naturbeschreibungen eine fast mythische Ruhe ein, die durch den Einbruch der Moderne zerstört zu werden droht. Diese Faszination für das Fremde, das Ursprüngliche und die natürlichen Rhythmen des Meeres und der Arbeit verleiht dem Roman eine zusätzliche, fast kontemplative Dimension. Gleichzeitig verleiht die Autorin auch den Frauenfiguren eine erzählerische Tiefe, die ihre Rolle in der Gesellschaft infrage stellt. Marians Geschichte etwa, die auf erschütternde Weise von den Ungleichheiten zwischen Mann und Frau berichtet, zeigt, wie tief patriarchale Strukturen verwurzelt sind. Dabei wird deutlich, dass Henríquez nicht nur an historischen Fakten interessiert ist, sondern an den inneren Welten ihrer Figuren, an den oft unausgesprochenen Konflikten und der Suche nach Selbstbestimmung. Der Roman gelingt als eindrucksvolle Verbindung von großem historischen Drama und intimen Einzelschicksalen. Er fängt die Ambivalenz eines gigantischen Projekts ein, das sowohl Hoffnung als auch Zerstörung brachte, und macht deutlich, dass die gesellschaftlichen Fragen von damals keineswegs ihre Relevanz verloren haben. Der große Riss ist damit nicht nur ein packender historischer Roman, sondern auch eine vielschichtige Reflexion über Machtverhältnisse, Widerstand und den Preis des Fortschritts.

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