thomas_gutsche
Zunächst: Das Buch gibt es auch für 4,50 zzgl. Versandt bei der Bundeszentrale Politische Bildung bpb: http://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/279554/fremd-in-ihrem-land Wir kennen das von unserer eigenen Haustür: Es gibt kaum Ausländer/Flüchtlinge da, wo sich am gewalttätigsten dagegen gewehrt wird. Man hat Hass auf angeblich korrupte Politiker und wählt gerade solche. Man ist, zumindest im eigenen Bundesland, auf Bundesmittel angewiesen und diese fließen auch in Straßen, Bauten, Schulen etc., aber lehnt genau diesen Bund ab als Durchlauferhitzer einer sog. "Umvolkung". Arlie Russell Hochschild, eine der bekanntesten Soziologinnen in ihrem Land, nähert sich Luisiana, einer Art Sachsen der USA, um genau solchen Paradoxien auf den Grund zu gehen. Und sie tut das genau so: gründlich, indem sie über fünf Jahre mehr oder weniger in den Süden zieht, vor allem nach Luisiana, und dort Freunde gewinnt unter Menschen, mit denen sie unter normalen Umständen genausowenig in Kontakt käme wie ich mit Pegida-Demonstranten. Respekt. Ich komme nicht auf den Geschmack, es ihr nachzutun, freue mich aber, dass sie als Wissenschaftlerin diesen Schritt gegangen ist. Neben einer soziologischen aber, wie üblich bei angelsächsischen Wissenschaftlern, verständlichen und nachvollziehbaren Analyse der zugrundeliegenden Mentalitäten und einem Faktenscheck, dem sie die unter "rednecks" üblichen Mythen im Anhang unterzieht, vermittelt sie von ihren neuen Freunden einen Einblick in ihren Alltag und den Kitt der Gesellschaft, in der sie sich bewegen. Das hat mir besonders gut gefallen, man lernt ein Stück USA kennen, als wäre man selbst vor Ort. Eine besondere Rolle spielt die Umwelt und der erbarmungslose Angriff, dem diese von Seiten der außer Rand und Band geratenen Fracking-Industrie in den USA ausgesetzt ist. Nicht nur die Natur-Schönheiten, sondern buchstäblich die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen in den von der Autorin besuchten Gebieten werden massakriert, aber statt stärkere Befugnisse der staatlichen Umweltbehörden zu fordern, fordern die Tea-Party-Anhänger nahezu die Abschaffung des Staates. Ihr Bundesstaat ist zu 30 Prozent seines Haushalts von Bundesmitteln abhängig, gerade dieser Bund wird aber bekämpft. In der Öl- und Frackingindustrie liegen höchstens 15 Prozent der Arbeitsplätze (mit allem drum und dran), aber gefühlt sind es 100 Prozent, denn zu 100 Prozent unterwirft man sich den Interessen dieser Industrie, deren Gewinne oft genug abfließen, statt im eigenen Bundesland zu bleiben. Aber um solche Industrie von überall her anzuziehen, werden die eigenen Bundesmittel für öffentlich Bedienstete, Lehrer etc. etc. gekürzt. Diese Liste ließe sich fast beliebig fortsetzen. Die Gründe, die Russell liefert, warum die Einwohner Luisianas dennoch wie die allerdümmsten Kälber ihre Schlächter selber wählen lässt, sind nicht ganz so eindeutig herausgearbeitet, aber lassen sich in etwa so umreißen: Gekaufte Politiker und klerikale Prediger, ein tiefer Glaube, der alles ertragen und bibeltreu verdauen lässt, die geschluckte Lüge, dass mehr Umweltschutz Arbeitsplätze vernichtet. Außerdem ein Arbeitsethos der alle, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, als Schmarotzer hinstellt und einem Staat, der "solche Leute" unterstützt, am liebsten sämtliche Steuern streichen möchte, Hartz IV lässt grüßen. So weit, so erwartbar. Für mich neu war die zeitliche Parallele, die von der Autorin gezogen wurde zur "Demütigung" der Südstaaten durch die Nordstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg, die noch immer im mentalen Untergrund der (weißen und besonders der männlichen) Menschen im Süden der USA wirkmächtig ist und angesichts von "Minderheiten" (Schwarzen, Homosexuellen, emanzipierten Frauen,...), die ihre Rechte einfordern und erkämpfen, als erneute Demütigung empfunden wird. Vor diesem Hintergrund wirken Politiker wie Trump als große Befreiung, als Widerherstellung der eigenen Wertmassstäbe, des Selbstwertgefühls, der "Ehre". Auch hier vielleicht gar nicht sooo unähnlich zu Verhältnissen bei uns. Was nun die Konsequenzen angeht, die der fortschrittliche Teil der US-Gesellschaft ziehen sollte, um das Ruder noch rechtzeitig herumzureißen, bevor es (Stichwort Klimawandel z. B.) zu spät sein könnte, bleibt das Buch im ungefähren. Ja, Empathie ist immer gut, kein Verständnis der Verhältnisse und Verständnis für die Menschen in ihnen. Aber in einem Artikel, der mir gerade heute in die Hände gefallen ist, bezweifelt The Nation wohl zurecht, dass es ein effizienter Einsatz der eigenen Kräfte wäre, die eingefleischten Trump-Wähler und hirngewaschenen Nachfolger oben angeführter Paradoxien vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Sinnvoller ist wohl der Versuch, diejenigen, die nicht gewählt haben, beim nächsten Mal an die Urne zu kriegen. Siehe hier: You Can’t Get Conservative White Women To Change Their Minds (https://www.thenation.com/article/white-evangelical-women-trump/), wo auch auf das hier rezensierte Buch Bezug genommen wird. Trotzdem, das Buch von Arlie Russell Hochschild ist empfehlenswert für alle, die etwas über das Leben in den USA erfahren wollen.