
biancaneve66
Ein Bruch mit der Gewohnheit Daniel träumt 1983 vom blauen Samtsakko für seine Konfirmation, hört aber zufällig, dass seine Eltern pleite sind. Der sechsköpfigen Familie Hormann fehlt es überall an Geld, weil die Eltern trotz vieler Einfälle einfach nicht damit umgehen können. Dabei ging es ihnen einmal recht gut mit der eigenen Firma, die durch Selbstbau-Verfahren vielen Menschen ein eigenes Haus ermöglichte. Als die Aufträge zurückgehen, verkauft Vater Siegfried Wasserfilter, Mutter Marlene Wolle. Dennoch kommt es zur Zwangsversteigerung, von der die Großmütter nichts erfahren sollen. Den Schein wahren, das können die Hormanns, auch wenn alles bergab geht. Dann steigen sie einfach ins Auto und fahren Richtung Sonne. Hinter Leineneinband und typischem Diogenes-Cover verbirgt sich auch inhaltlich Wertvolles. In kurzen Kapiteln erfahren wir die Familiengeschichte der Hormanns. In der Gegenwartsschiene aus der Perspektive des fünfzehnjährigen Ich-Erzählers Daniel, im Vergangenheitsstrang das Schicksal der beiden Großmütter über eine Erzählerstimme. Daniels Geschichte wird jeweils von deutsch-französischen Wortpaaren eingeleitet, die sich dann im Text wiederfinden, und ist in der Vergangenheitsform verfasst. Das Leben der Vorfahren wirkt durch die Verwendung der Gegenwart recht greifbar und authentisch. Der Schreibstil ist sehr angenehm, leicht zu lesen, aber inhaltsreich und glaubwürdig. Die Handlung, sowie auch die Charaktere sind sehr authentisch. Obwohl die Familie über keine Rücklagen verfügt, und zu leben scheint, als gebe es kein Morgen, wirkt die Geschichte niemals trostlos oder gar deprimierend. Sie ist glaubwürdig, mit einer Leichtigkeit verfasst und nie wertend. Das mag auch am jungen Ich-Erzähler liegen, der mit einer gewissen Naivität an die Familiensituation herangeht. So bleibt die Grundstimmung immer positiv und menschlich. Durch eine Art (Galgen-)Humor wird klar, dass eben irgendwo doch immer die Sonne scheint. Das Buch spiegelt sehr gut die Atmosphäre der Achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts wider, arbeitet aber auch die Situation der Kriegsgeneration heraus, die durch Entbehrung, Flucht und Vertreibung eine ganz andere Ausgangssituation hatte als ihre Nachkommen. Die Geschichte zeigt dadurch auch gut, dass unsere Entscheidungen oder eben auch Fehlentscheidungen stark von unserer Vergangenheit, unseren Erinnerungen und unserer Wahrnehmung abhängig sind. Schünemann ist hier ein absolut lesenswerter Roman gelungen, der fesselt, ohne über viel Spannung zu verfügen.