Profilbild von Buchdoktor

Buchdoktor

Posted on 3.2.2025

Die isländische Polizistin Dora hat durch eine Schussverletzung im Einsatz ein Auge verloren und noch immer mit zahlreichen Beschwerden zu kämpfen: Dauerkopfschmerzen, PTBS, Hypersensibilität, Probleme mit der Impulskontrolle und eine überraschend aufgetretene Inselbegabung. Da ihr Kollege Elliði sich an Doras Zustand schuldig fühlt, beschäftigt er sie mit Ermittlungsarbeiten im Büro, obwohl sie offensichtlich nicht dienstfähig ist. Bei ihrer Arbeit an Fällen, die als ausermittelt gelten, findet Dora nicht selten übersehene Spuren, die zur Wiederaufnahme der Ermittlungen führen, ihr im Team jedoch keine Freunde machen. Als kurz nach einer groß angelegten Razzia gegen Drogenhändler alle Ermittler mit Verhören der Verhafteten beschäftigt sind, muss Dora jedoch gemeinsam mit ihrem Kollegen Rado/Radovan in einem Vermisstenfall ausrücken. Im Thingvellir-Nationalpark ist eine 16-jähjrige Schülerin auf einem Klassenausflug verschwunden. Radomir als Sohn serbischer Immigranten und verheiratet mit einer für einen Polizisten unakzeptablen Frau, ist nur deshalb im Dienst, weil er als Befangener nicht zur Razzia eingeteilt war. Auf mehreren Handlungsebenen wird einerseits gegen die organisierte Kriminalität ausländischer Banden ermittelt, während parallel allein Jonassons Leser:innen eine Verbindung zwischen der Bande und einer konkurrierenden Motorrad-Gang vermuten und einem höchst effektiven Auftragskiller bei der Arbeit über die Schulter blicken können. Der Fall der vermissten nonbinären Schwarzen Morgan berührt Dora und Rado unerwartet heftig, möglicherweise aufgrund ihrer Ahnung, dass in einem Fall wie ihrem weniger engagiert ermittelt wird als bei einem Opfer isländischer Herkunft. Schließlich stellt sich die Frage, ob innerhalb der isländischen Polizei ein Maulwurf aktiv ist und Ermittlungen gegen organisierte Kriminalität daher grundsätzlich scheitern müssen. Jón Atli Jónassons sozialkritische Nordic-Noir-Serie tritt mit dem Anspruch an, drängende gesellschaftliche Konflikte Islands aufzuzeigen. Mit Organisierter Kriminalität, Drogenhandel, Flucht/Immigration, Rassismus, Nonbinarität und Reaktion darauf bedienen die Stichworte zur Vermarktung des Romans nahezu das gesamte aktuelle Problem-Spektrum. Fazit Im Präsens und mit einfachen Sätzen erzählt, lässt sich der komplexe wie mitreißende Roman flott lesen. Allerdings fehlt es dem deutschen Text an sprachlicher Präzision, was besonders beim Thema Transidentität/Nonbinarität ärgerlich ist. So bleibt die Persönlichkeit der vermissten Morgan leider eher behauptet als gezeigt. Jonassons empathischer Blick auf Außenseiterfiguren in Arbeitswelt und Gesellschaft Islands konnte mich beeindrucken und weckt Neugier auf die angekündigte Fortsetzung der Serie. Außergewöhnlich einnehmend wirkten die Zwangsläufigkeit von Doras Wahrnehmung und ihren Reaktionen, Rados Fürsorge für seine Kollegin, sowie sein schwer lösbarer Loyalitätskonflikt zwischen Dienst und Privatleben, wie auch überzeugende Nebenfiguren. Insgesamt beeindrucken neben dem spannenden Plot der sozialkritische Ansatz und das geschilderte breite Spektrum psychischer/neurologischer Probleme. --- Serieninfo: Band 1 von 2, „Gift“ angekündigt für 2025

zurück nach oben