
Marcus Jordan
Ein Mann unterrichtet Philosophie in unterschiedlichen Gefängnissen. Er berichtet von den Schülerinnen und Schülern, ihren Einlassungen und ihrer Verweigerung, der Wirkung des Geschehens auf ihn und über sein eigenes Leben und seine eigene Betroffenheit. Wenn ich es nett versuche, dann würde ich sagen "sehr authentisch" und "völlig unkonstruiert". Wenn ich weniger gütig bin, würde ich sagen "zufällig" oder "etwas fahrig" oder "roh". Irgendwas hat es schon angesprochen in mir. Wahnsinnig sympathisch ist die Bescheidenheit des Autors und seine bedingungslose Unvoreingenommenheit gegenüber den Häftlingen. Das äußert sich in einer geradezu protokollhaften Wiedergabe derer Äußerungen und Reaktionen. Er enthält sich fast völlig einer Bewertung und manchmal ist es aber dann auch nicht so recht von Wert das zu lesen. Meine Lieblingsstelle: Sie reden über die Denkmäler berühmter Persönlichkeiten und ob man sie stürzen sollte, wenn man eben heutzutage versteht, wie diese fast immer Männer, zwar vielleicht besonderes geleistet haben, aber mindestens aus heutiger Sicht, auch rücksichtslose Menschenfeinde, Rassisten oder sonst was Unerfreuliches waren. Ein Häftling hat eine großartige Idee: man halbiere das Denkmal und entferne eine Hälfte. Ich finde das sollte man wirklich so machen. Und dann auf die eine Seite eine Inschrift über die Leistungen und auf der anderen, auf der Abschnittseite eben ein Hinweis auf die Verbrechen der jeweiligen Person. Etwas genervt hat mich der Autor auch mit seiner stur naiven Wahrnehmung von Strafvollzug und Gefängnis. Er kommt dann schon selber irgendwann drauf, dass ein Gefängnis halt immer so gut oder so schlecht, so fürsorglich oder so grausam ist, wie eben die Gesellschaft drumrum. Er hat dann dazu einen schönen Gedanken, als ihm klar wird, dass es eben in vielen Dingen so eine Art Wechselwirkung aus "Ist" und "Soll" braucht. Dass man sehen muss, wie die Dinge wirklich sind, damit man begreift, wie sie sein sollten. Und dass es diesen Einsatz für das "Soll" braucht, um das "Ist" zu ertragen. Irgendwie auch klar, aber gut, es mal formuliert gelesen zu haben. Oder war das in meinem Kopf? Das Buch hat überhaupt das Potential eine ganze Menge eigene Gedanken anzuregen, weil es so unkonkret ist und der Autor so völlig ungeniert bündelweise offene Enden in die Gegend legt. Aber nach zwei Dritteln habe ich es weggelegt. Vielleicht habe ich nicht mehr genug eigene Gedanken dazu.