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renee

Posted on 26.1.2025

Zitronen und Limonade Eine dysfunktionale Familie in einem kleinen und beschaulichen Dorf in Österreich. Darum dreht sich das Buch „Zitronen“ von Valerie Fritsch. August Drach ist der Sohn in dieser Familie, ein körperlich, wie auch verbal gewalttätiger Vater, August Drach sen., und eine inaktive und ebenso angsterfüllte Mutter, Lilly Drach, sind die weiteren Bestandteile dieser Familie. Nach den Gewaltexzessen holt sich der Sohn bei der Mutter die existenzielle Liebe, sie heilt ihn vom entsetzlichen Geschehen, dennoch fehlt in dieser Liebe auch etwas. Denn als liebender Mensch, als liebende Mutter beschützt man das eigene Kind vor der Gewalt. Wenn man dies nicht macht, gibt es Gründe dafür. Bis der Vater verschwindet. Dann verändert sich die Gemengelage. Jetzt entdeckt die Mutter eine erneute Angst, die Angst vorm erneuten Verlassenwerden, und so verfällt sie in eine ebenso vorhandene Gewalttätigkeit. Allerdings keine offensichtliche. Sie mischt dem Sohn Medikamente ins Essen, um ihn an sich zu binden, um sich ewig kümmern zu können, um ihn danach wieder heilen zu können und um dadurch auch dem drohenden Alleinsein zu entfliehen. Der Sohn braucht sehr lange, um sich aus dieser furchtbaren Spirale zu befreien. Doch kann man sich jemals aus so einem düsteren Traum befreien? Das Kind wurde traumatisiert und hat Störungen in seiner Bindungsfähigkeit erlitten. Kann man so etwas durchbrechen? Ja. Kann man. Aber es ist sehr sehr schwer. Man kann aber auch für immer traumatisiert durchs Leben stolpern. Man könnte sich fragen, wie so etwas in einem Dorf passieren kann, in einer anzahlmäßig kleinen Zahl an Menschen, die eigentlich mehr Einblick in das Leben der Anderen haben. Doch was sieht dein Gegenüber von dir? Das, was du bereit bist zu zeigen und noch etwas mehr. Doch wie schnell stülpt man dem Gegenüber über, eigenartig zu sein, ohne weiter hinzuschauen, ohne weiter zu suchen. Man ist ja mit dem eigenen Tun völlig beschäftigt, hat vielleicht noch ein gewisses Umfeld, wo man mehr hinsieht. Aber mehr tun glaub ich die Wenigsten. Außer natürlich mit Gegenübern über die Anderen herziehen, über sie herfallen, dann hat man zu tun und muss nicht den eigenen Vorgarten bearbeiten. Was für ein Drama. Die Lektüre ist schon etwas her, doch beim Schreiben dieser Zeilen überfällt mich wieder ein Schaudern, denn „Zitronen“ ist sehr intensiv. Was dieses Buch in meinen Augen zu einem 5-Sterne-Roman macht, ist nicht die Thematik. Diese ist wirklich grauenvoll. Valerie Fritsch verfasst dieses Grauen in so einer sprachgewaltigen Art, dass das Lesen dieses Grauens dennoch wunderschön ist, was ich der Autorin sehr hoch anrechne. Eigentlich verschließe ich mich innerlich, wenn es zu viel wird. Hier aber kann man immer wieder über das Gelesene sinnieren, die Sätze/Worte bewundern, staunen, begeistert sein. Dabei ist das Geschriebene aber nicht immer die wunderschöne Prosa. Denn Valerie Fritsch möchte durch die sprachliche Wahl auch den Zustand des traumatisierten Sohnes, den Zustand der dysfunktionalen Familie, den Stand der Beziehungen in dem engen dörflichen Geflecht darstellen und auch das schafft sie sprachlich sehr gut. Ein sprachlich rundum gelungenes Buch! Ein interessantes Buch! Und wieder ein Buch, wo ich nur begeistert rufen kann, unbedingt lesen! Aber auch dieses Buch hat die Kraft zum Triggern, deswegen bitte auch Vorsicht!

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