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Ja, es reicht ein halber Tag, um diese “Kursbestimmung” des GRÜNEN Kanzlerkandidaten zu lesen bzw. zu hören. HABECK fasst sich kurz, konzentriert sich aufs Wesentliche, beansprucht Zeit und Interesse seiner potentiellen Leserschaft nicht über. Zeit genug, um seine niedergeschriebene Botschaft in eine Wahlentscheidung am 23.02.2025 einfließen zu lassen, bleibt auf jeden Fall. Das Buch bietet wenig Überraschungen: HABECK zeigt sich engagiert, kontrolliert kämpferisch, einladend und geradezu grenzenlos verbindlich. Noch eindeutiger zeigt sich sein Stil hinsichtlich des Gegenpols der politischen Auseinandersetzung: Der Autor vermeidet konsequent jede Konfrontation, Eskalation oder Provokation. Ebenso erwartungsgemäß konzentriert sich der Noch-Vizekanzler auf die großen Themen des aktuellen Diskurses: Es geht um Wirtschaft, Migration, Klimakrise und um die Wege zu Frieden und Sicherheit. Das zentrale Anliegen HABECKS liegt aber – sozusagen – in einer verbindenden Schicht über diesen Themen: Der Autor will aufrütteln, Mut machen und aktivieren – und damit ein Zeichen setzen gegen Verzagtheit, Schlechtreden, Spalten und Hetzen. Seine Zielgruppe ist ganz eindeutig der Teil unserer Gesellschaft, der noch an positive Veränderungsmöglichkeiten glaubt, der den Kampf gegen die Erderwärmung, für eine transformierte Wirtschaft und für einen demokratischen Zusammenhalt noch nicht aufgegeben hat. Genau hier bietet er sich als Bündnispartner an und er wirft dabei seine politische Biografie der letzten ca. 20 Jahre in die Waagschale. Angesichts der massiven Anfeindungen der letzten ca. 1,5 Jahre, in denen das GRÜNEN-Bashing zu einem beliebten Volkssport geworden ist, grenzt die Zurückhaltung in der Auseinandersetzung mit seinen politischen Gegnern schon an ein kleines Wunder. Fast sehnsüchtig wartet man darauf, dass HABECK auch einmal austeilt: sich über die parteitaktisch-motivierte Aufheizung des Meinungsklimas beschwert, die fehlende Verantwortungsübernahme für die ja längst gemeinsam vereinbarten Klimaziele beklagt oder den permanent gegen die GRÜNEN hervorgebrachten Ideologie-Vorwurf an die Ankläger zurückgibt. Natürlich klingen die Schwächen und Fehleinschätzungen der Gegner an – aber ohne jede Schärfe und ohne spürbare Spuren von Kränkungen. HABECK will offenbar auch dort keine Aufheizung der Konflikte, wo ihm das zweifellos Punkte einbringen könnte. Dass HABECK auch mit Selbstkritik nicht spart, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Überhaupt: Der Autor arbeitet sich nicht an seinen Gegnern ab; er will dieses Land für einen “guten” Zukunftsweg öffnen – der eben nicht “den Bach runter” führt. Er will Lösungen skizzieren, ohne die Probleme zu verniedlichen. Um dafür zu werben, beschreibt er geopolitische und weltwirtschaftliche Veränderungen, die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte und die Risiken der populistisch-autokratischen Entwicklungen im Innern und weltweit. Sein Gegenmodell heißt “Kooperation”, insbesondere auf europäischer Ebene (unter Einschluss der Briten). Wie man unschwer auch am Umfang des Buches ablesen kann: Habeck verliert sich nicht in Details, wirbt für ein Verständnis großen Linien. Dadurch bleibt das Buch gut lesbar und hat eher den Charakter einer längeren Grundsatzrede als eines tiefschürfenden Sachbuches. Gelegentlich verweist HABECK auf Publikationen, die einzelne Thematiken gründlicher aufgearbeitet haben. Schade könnte man es finden, dass einige Grundsatzfragen – z.B. zur Zukunft unserer Sozialsysteme – weitgehend ausgespart werden. Aber vermutlich traut sich auch ein HABECK nicht, ein paar Wochen vor der Wahl die Notwendigkeit eines wirklich umfassenden Umbaus z.B. unseres Rentensystems zu thematisieren. Gelegentlich entsteht bei soviel sachlich-gemäßigter Verbindlichkeit das Gefühl, dass vielleicht auch etwas verloren gehen könnte: nicht nur eine gewisses Mobilisierung durch pointiertere Formulierungen, sondern auch handfeste Informationen über die Ziele und Strategien der politischen Gegner. Ist es wirklich überflüssig – so fragt man sich – die zynische Systematik der zwischen bestimmten Presseorganen und politischen Kräften hochgepeitschten Kampagnen auch einmal zum Thema zu machen? Was ist mit den wirtschaftlichen Interessen bestimmter Kreise, die aus egoistischen Motiven heraus den Weg in die Nachhaltigkeitswirtschaft sabotieren? Kann man über die Bilanz der Ampel wirklich sinnvoll schreiben, ohne die Rolle der Lindner-FDP auch einmal ganz klar zu benennen? Gut: HABECK will nicht nachtreten und nicht eskalieren. Besser so als andersherum. Bleibt die Frage, ob all die schlauen Moderatoren und Kommentatoren dieses Landes zur Kenntnis nehmen werden, dass mit diesem Buch zumindest ein Angebot für etwas vorliegt, was immer wieder gefordert wird: Ein zukunftsweisendes positives Narrativ, das grob eine Richtung vorschlägt, in welche Art von (naher) Zukunft ein Aufbruch möglich und lohnend sein könnte. Wer selbst noch in dieser sanften und zuversichtlichen Vision für eine gutwillige bürgerliche Mitte Spuren von Eifer, Verbotspolitik, Moralismus oder Ideologie findet, dem ist ganz sicherlich nicht zu helfen.