renee
Traumata und Folgen Dieses Buch ist ein Versuch der Aufarbeitung. Berührend und zugleich distanziert. Ein Versuch der Nähe, eine Nähe, die nie stattgefunden hat. Maman. Eine Mutter. Die eigene Mutter. Ein Mutter-Tochter-Verhältnis voller Distanz. Eine andere Zeit. Sicher. Dennoch hat die fehlende Nähe ja auch was mit dem Kind, mit den Kindern gemacht. Von daher ist die Intention zu diesem Buch interessant. So distanziert, wie die Mutter war, dies hat die Tochter sicher nie losgelassen. Mütter und Töchter. Ein immerwährendes Thema. Wenn man in einer gefühlsarmen Umgebung aufgewachsen ist, macht das was mit einem. Man könnte loslassen und das eigene Leben führen. Das tut man auch. Aber lässt einen das Erlebte kalt, kann man das vergessen. Mitnichten. Und so vergisst auch die Autorin nicht. In diesem Buch versucht sie dem Erlebten einen Raum zu geben, versucht die Mutter zu verstehen, gibt ihrem eigenen Trauma einen Raum, ergeht sich in dem Warum, erörtert die Möglichkeiten, gibt den vorhandenen Fakten einen Schuss Fiktion dazu. Die Autorin möchte verarbeiten, was schwer zu verarbeiten ist. Was für eine Kraft hinter diesem Versuch steckt, kann man nur erahnen. Wie schwer solch ein Buch sein muss. Chapeau vor dieser Leistung. Die Mutter Renée wird 1916 geboren, Renées Mutter stirbt bei der Geburt, ein Vater ist nicht bekannt. Und so beginnt Renées Leben im Waisenhaus, bevor sie das „Glück“ hat in einer Familie aufgenommen zu werden. Sie kommt zu einer Bauersfamilie in der Ardèche, doch hier wird sie nur wegen finanzieller Ziele aufgenommen, Liebe, Fürsorge und Empathie sind hier Fremdwörter. Nach einer traumatisierenden Zeit kommt sie nun zu einer Apothekerfamilie. Hier ist das Leben sonniger, jedoch wie kann ein traumatisiertes Kind voller Bindungsstörungen und bisher fehlender Liebe plötzlich ein glückliches Leben führen. Renée wird erwachsen und heiratet, bekommt selbst Kinder. Was gibt sie diesen Kindern mit, was kann sie ihnen mitgeben? Vor diesem Hintergrund schaut Sylvie Schenk auf ihre Mutter. Sie schaut empathisch. Versucht zu verstehen. Und gibt damit den erlittenen Traumata nicht weiter Nahrung. Was für eine Stärke! In dem Buch ist nichts gefühlsüberfrachtet. Sachlich, ruhig und still schaut Sylvie Schenk auf das Vergangene und berührt damit umso mehr. Man erahnt das Gefühlschaos, durch das sie gegangen sein wird und empfindet Hochachtung vor dieser Frau, dass sie die Kraft hatte dieses Buch zu schreiben. Denn auch ihre erlittenen Traumata sind greifbar. Doch verbleibt sie nicht darin, sie versucht zu verstehen, ob darin auch die Kraft zum Verzeihen liegt, man kann es erahnen. Und ich wünsche es ihr. Denn die eigenen Verletzungen weiter zu nähren, vergiftet das eigene Leben und dass deiner Umgebung. Lesen!