marcello
Wenn ich bedenke, wie viele Bücher von Ruth Ware auf dem deutschen Buchmarkt erschienen sind, dann ist es schon etwas überraschend, dass ich bislang von ihr nur „Woman in Cabin 10“ gelesen habe. Zumal ich dieses auch nicht negativ in Erinnerung habe. Vielleicht ist es auch der unscheinbare Name, der mir etwas durchgerutscht ist. Umso besser, dass das Cover von „One Perfect Couple“ so knallig gestaltet wurde, denn es fällt sofort ins Auge und da habe ich dann doch mal genauer hingesehen. Ich musste ein wenig an „Murder in the Family“ von Cara Hunter denken, das mir sehr gut gefallen hat. Dort wurde ein True-Crime-Format sehr anschaulich aufgebaut und spannend für uns Leser zum Mitverfolgen gestaltet. „One Perfect Couple“ nimmt sich nun Reality-TV vor. Es war etwas schwierig ins Geschehen hineinzufinden, was überhaupt nicht am Schreibstil lag, sondern eher an gewissen Puzzleteilen. Während Nico perfekt für Reality-TV wirkt, erweckt Lyla ganz andere Eindrücke. Dazu ist es absolut verwunderlich, dass sie es überhaupt mit jemandem wie Nico aushält. Man merkt ihre Zweifel auch, aber danach handeln tut sie (noch) nicht. Dementsprechend war es alles etwas seltsam und mir war nicht ganz klar, wie sich von diesen seltsamen Voraussetzungen eine Geschichte entwickeln soll. Doch diese anfänglichen Irritationen legen sich sehr schnell. Spätestens als die Paare aufeinandertreffen und es dann auf die Insel geht, da wurde es immer spannender. Anfänglich ist auch deutlich zu erkennen, wie sich Ware bemüht hat, die inszenierten Seiten vom Reality-TV zu beleuchten und zu entlarven. Es ist aber nicht das Hauptansinnen des Buchs, was dann spätestens nach dem Sturm zu merken ist. Danach hat Reality-TV gar keinen Raum mehr in der Geschichte, was auch überhaupt nicht schlimm war, denn es hat sich so tatsächlich ein klassischer Thriller entwickeln können. Und wie gut, dass Lyla ist, wie sie ist. Da die anderen Paare tatsächlich eher dem üblichen Beuteschema von Reality-TV entsprechen, sticht Lyla völlig heraus und das erweist sich im Verlauf der Handlung auch immer wieder als wichtig. Umgekehrt muss man positiv aber auch sagen, dass die anderen Charaktere sich vom oberflächlichen Eindruck auch lösen muss, denn wenn es ums nackte Überleben geht, da geht es nicht mehr um Äußerlichkeiten. Das habe ich gut erkennen können, weil jede Figur über sich hinauswachsen musste. Es wurden auch weniger schöne Seiten aufgedeckt, aber unterm Strich zählte für mich, dass alle involvierten Figuren ambivalent gestaltet waren, so dass die Spannung auch nie ausging. Es war schon verrückt, welcher Überlebenskampf sich entwickelt hat. Ich hatte auch mehrfach den Gedanken, wie genial dieser Inhalt wohl als Serie oder Film wirken würde. Auch wenn es das Genre nicht neu erfindet, aber ich fand die Stimmung, die Überraschungen und die verschiedenen Botschaften wirklich gut. Zum Schluss war es auch nochmal richtig aus dem Nichts, warum diese Figuren alle zusammen waren. Da hat man also deutlich gemerkt, dass dieses Buch – wie man es sich auch wünscht – von vorne bis hinten sorgfältig erdacht war. Für mich hat Ware damit einen mehr als soliden Thriller hingezaubert. Fazit: „One Perfect Couple“ hat mit dem Reality-TV-Bezug einen sicherlich funktionierenden Aufhänger, aber es ist nur ein kleiner Anteil, weil es ansonsten ein Thriller mit spannendem Überlebenskampf ist. Die feministische Botschaft habe ich auch wahrgenommen und ich habe mich so nach anfänglichen kleinen Stolperstellen sehr gut unterhalten gefühlt.