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Marcus Jordan

Posted on 29.12.2024

"Ein Jahrhundertroman über die Macht der Heilung" hat der Verlag hinten drauf geschrieben - warum zum heck macht man so was? Was ist das, ein Jahrhundertroman? Wer entscheidet, was das ist? Kann ein junger Roman das überhaupt gleich sein? Nervt mich so was. Und ich könnte auch gar nicht so genau sagen, über was das Buch erzählt? Ganz sicher nicht über die "Macht der Heilung". Maria-Christina Piwowarski wird an selber Stelle zitiert mit "endlich der ersehnte Roman zu diesem besonderen Ort." Wundert mich auch. Die Heilanstalten Beelitz sind für mich entgegen der Ankündigungen eher beliebig Teil der Bühne dieser Geschichte und tun auch nicht wirklich explizit etwas dafür. Alles egal. Es ist ein wunderbares Buch. Humorvoll und virtuos geschrieben, spannend und dicht und unheimlich im besten Sinne. Alle Figuren sind sehr interessant und dabei wirkt das nie konstruiert - sie sind so interessant, wie Menschen eben sind, wenn man genau genug hinschaut. Eine reiche Berlinerin schreibt Anfang des Jahrhunderts einen Erfolgsroman - allerdings mit Hilfe eines Mediums, einer Frau mit scheinbar übersinnlichen Fähigkeiten. Ihre Beziehung, der gesellschaftliche Kontext, die Konflikte, die Sehnsucht nach der Erklärung und nach Sicherheit - - alles in einer wunderbaren, klugen Erzählung. Man mag nichts weiter verraten, lest einfach drauf los! Diese Geschichte erzählt sich aus drei Perspektiven - das eigentliche Geschehen, dann die Protagonistin 50 Jahre später, als alte Frau und ihre Urenkelin, die die ganze Geschichte rekapituliert. Letztere habe ich nicht recht verstanden, also ich konnte nicht ganz sehen, warum diese Ebene der Erzählung dienlich gewesen sein sollte. Aber es stört auch nicht, auch diese Figur nimmt einen sofort ein, man fängt quasi an, sich persönlich für sie zu interessieren. Faszinierend ist für mich die Erzählung und Beschreibung der alten Schriftstellerin. Das ist für mich das Highlight des Buches. Eine enorm bereichernde Facette für die Glaubwürdigkeit und Verständlichkeit der Schlüsselfigur und aber auch einfach sehr glaubwürdig, wie Lenze diesen menschlichen Geist beschreibt, dem die Kraft ausgeht. Also wer wissen will, wie das mal wird eines Tages... Ich glaube, die Filmrechte sind schon verkauft - darauf kann man sich freuen!

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