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Kein raffinierter psychologischer Thriller, aber ein faszinierendes Drama Auf den ersten Blick wirkt Paula Hawkins‘ neues Buch „Die blaue Stunde“ ein wenig unentschieden. Es enthält zwar die typischen Elemente eines psychologischen Thrillers, scheint sich jedoch nicht vollständig diesem Genre zuzuordnen. Der Roman beginnt mit dem Fund eines menschlichen Knochens in einem Kunstwerk der verstorbenen Künstlerin Vanessa Chapman. Dieses Verbrechen bildet das zentrale Mysterium, das im Verlauf der Handlung aufgeklärt werden soll. Der Kurator James Becker reist auf die Insel, auf der Chapman zuletzt gelebt hat, um Nachforschungen anzustellen. Dort stößt er auf zahlreiche Ungereimtheiten in Chapmans letzten Lebensjahren, was die Geschichte zunehmend in ein Netz aus Geheimnissen und Andeutungen verstrickt. Doch wer von Paula Hawkins, bekannt durch ihren Bestseller „Girl on the Train“, einen ähnlichen, psychologisch spannungsaufbauenden Thriller erwartet, wird hier überrascht. Zwar setzt Hawkins erneut auf Atmosphäre und das Geheimnisvolle, jedoch ist „Die blaue Stunde“ noch entschleunigter und phasenweise mehr Drama als Thriller. Im Fokus stehen vor allem Chapmans Leben als Künstlerin und ihre komplexe Beziehung zu ihrer Freundin Grace, die nach ihrem Tod ihr Haus verwaltet. Die Krimielemente werden auf das Wesentliche reduziert, während unterschwellige Bedrohung und düstere Momente die Atmosphäre bestimmen. Die Spannung ergibt sich weniger aus actionreichen Szenen als aus der Erwartung, dass Hawkins am Ende alle Fäden zusammenführt und den Leser mit einer überraschenden Wendung belohnt. Hier liegt jedoch auch die Schwäche des Romans: Der Plot wirkt letztlich nicht besonders raffiniert. Für eine Autorin ihres Kalibers hätte man sich komplexere Wendungen und Verstrickungen, sowie ein packenderes Finale gewünscht. Dennoch überzeugt der Roman durch seine fein gezeichneten Figuren und ihre Beziehungen zueinander sowie durch die kunstvolle Darstellung einer geheimnisvollen Stimmung. Wer also einen klassischen Thriller mit ausgeklügeltem Krimihandwerk erwartet, könnte enttäuscht werden. Freunde von literarisch anmutenden Dramen und Künstlerromanen hingegen dürften bei „Die blaue Stunde“ voll auf ihre Kosten kommen.