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Posted on 19.12.2024

*Bewegende Spurensuche -eine Chronik des Überlebens und der Hoffnung* Das Buch "Suche liebevollen Menschen: Mein Vater, sieben Kinder und ihre Flucht vor dem Holocaust" von Julian Borger, dem Leiter des Außenpolitik-Ressorts der britischen Zeitung »The Guardian«, ist ein tiefgründiges und sorgfältig recherchiertes Werk, das die erschütternden Schicksale jüdischer Kinder aus Wien während des Holocausts beleuchtet. Borger, der lange Zeit mit unbeantworteten Fragen zu seiner Familiengeschichte lebte, begibt sich nach dem erschütternden und unerwarteten Suizid seines Vaters Robert im Jahr 1983 auf eine bewegende Spurensuche. Diese führt ihn nicht nur zu den Wurzeln seiner Familie, sondern enthüllt auch bislang unbekannte und verborgene Familiengeheimnisse. Seine umfangreiche Recherche entwickelt sich zu einer emotionalen Reise in die Vergangenheit, bei der Borger Schicht um Schicht die komplexe Geschichte seiner Familie aufdeckt und bisher unerzählte Kapitel im Leben seines Vaters und seiner Verwandten offenbart. Ausgangspunkt für Borgers Buch bildet eine zufällig entdeckte Anzeigenspalte im Manchester Guardian vom 3. August 1938, in der verzweifelte jüdische Eltern aus Wien um Aufnahme für ihre Kinder in englischen Familien baten. Darunter ist auch eine kurze Annonce, in der Borgers weitsichtiger Großvater Leo nach einer "liebevollen Person" für seinen Sohn Robert suchte. So beginnt Borgers auf Basis der Kleinanzeigen seine fesselnden Nachforschungen nicht nur zur Geschichte seines eigenen Vaters, sondern auch zu sechs weiteren jüdischen Kindern aus Wien, die durch ähnlich verzweifelte Anzeigen vor der Verfolgung durch die Nazi-Diktatur in Sicherheit gebracht und vor dem sicheren Tod bewahrt werden sollten. Borger gelingt es hervorragend, die persönliche Lebensgeschichte seines Vaters Robert mit den bewegenden Einzelschicksalen der anderen Flüchtlingskinder zu verknüpfen und dabei zugleich aufschlussreiche historische Aspekte des Holocausts zu beleuchten. Durch die geschickte Verflechtung von individuellen Erlebnissen mit bedeutsamen historischen Ereignissen schafft der Autor ein vielschichtiges Bild der damaligen Zeit. Die einfühlsame Schilderung der Einzelschicksale ermöglicht es, sich emotional mit den Betroffenen zu identifizieren und deren erschütternde Erfahrungen nachzuvollziehen. Gleichzeitig vermittelt es Borger wertvolle historische Erkenntnisse, die über die ergreifenden persönlichen Schicksale hinausgehen und ein tieferes Verständnis für die Komplexität der Ereignisse schaffen. Die besondere Stärke des Buches liegt in Borgers fundierter Recherche und seiner Fähigkeit, die emotionale Tiefe der geschilderten Erlebnisse zu vermitteln. Sein lebendiger, anschaulicher Schreibstil erleichtert den Zugang zu dem schwierigen und sehr aufwühlenden Thema. Vereinzelt lockern Schwarz-Weiß-Fotografien aus Familienarchiven den Text auf und verleihen den erzählten Geschichten eine zusätzliche Authentizität. Der Autor hat nicht nur Familienarchive durchforstet, sondern es ist ihm auch nach den vielen Jahrzehnten noch gelungen, Informationen zu finden und Kontakte zu Nachkommen herzustellen, um die facettenreichen und authentischen Geschichten der anderen geretteten Kinder zu erzählen. Detailliert und eindrucksvoll zeichnet Borger die unterschiedlichen Wege nach, die diese Kinder einschlugen, beschreibt die näheren Umstände ihrer Flucht, ihre Widerstandsfähigkeit und den ungebrochenen Überlebenswillen bei ihrer Anpassung an das neue Leben in der Fremde. Die persönlichen Geschichten, wie die von Georg Mandler oder den Brüdern Schwarz, sind besonders ergreifend. Die erschütternden Schilderungen von Diskriminierung und Verfolgung offenbaren die grausame Realität, der sich die jüdische Bevölkerung Wiens in der damaligen Zeit ausgesetzt sah. Borger führt uns anschaulich die langfristigen Auswirkungen der traumatischen Flucht und des Verlusts der Familie auf die Identität und das psychische Wohlbefinden der Geretteten vor Augen. Viele Betroffenen wählten den Weg der Verdrängung, um weiterleben zu können, was die Aufarbeitung der Traumata erschwerte. Gleichzeitig ergründet Borger die subtilen Mechanismen des transgenerationalen Traumas, dessen Auswirkungen über Generationen hinweg bis in die Gegenwart reichen. Einfühlsam zeigt er auf, wie unterschiedlich die Betroffenen mit ihren Erlebnissen umgegangen sind. Er beleuchtet eingehend zudem die emotionalen Narben, die die Erfahrungen bei den Überlebenden und ihren Nachkommen hinterlassen haben. Eindrücklich streicht er heraus, wie schwierig bei vielen die Balance zwischen dem Erinnern und dem Weiterleben ist und wie problematisch ein Verharren in traumatischen Erinnerungen und deren vollständiger Verdrängung ist. Geschickt thematisiert er auch die verpassten Gelegenheiten, mit den Überlebenden über ihre Erfahrungen zu sprechen. Für Borger selbst hat sich das Verfassen dieses Werkes zu einer vielschichtigen Erfahrung entwickelt, die weit über eine bloße Aufarbeitung der Vergangenheit hinausgeht und zu einer tiefgreifenden Reise des Verstehens seiner Familiengeschichte wurde. Dabei ist es ihm schließlich gelungen ein nuancierteres Bild seines Vaters zu erhalten, dessen Handlungen und Gefühlswelt besser zu verstehen. Diese Auseinandersetzung ermöglichte ihm ein tieferes Verständnis für die komplexen emotionalen Verflechtungen innerhalb seiner Familie und öffnete den Blick für die weitreichenden Folgen historischer Ereignisse auf persönlicher Ebene. Somit ist Borgers Buch nicht nur eine bewegende Chronik des Überlebens, sondern auch eine lehrreiche Reflexion über die lebenslangen Auswirkungen von Trauma und Verlust auf die Überlebenden und ihre Familien. Zudem erinnert es eindringlich an die Kraft der Hoffnung und Menschlichkeit in Zeiten grauenvollen Leids und unvorstellbarer Grausamkeit. FAZIT Ein emotional berührendes, lehrreiches und historisch wertvolles Buch, das nur ein bewegendes Zeugnis persönlicher Schicksale ist, sondern auch eine eindringliche Mahnung an zukünftige Generationen aus der Geschichte zu lernen! Ein wichtiger Beitrag zur Erinnerungskultur!

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