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Scott Prestons Roman "Über dem Tal" entführt die Leser in den rauen und unbarmherzigen Lake District im Norden Englands – eine Region, die mit ihrer schroffen Schönheit und ihrer zeitlosen Atmosphäre den idealen Hintergrund für die tragische Geschichte von Steve Elliman bietet. Mit viel Liebe zum Detail und einer ungeschönten Darstellung des harten Lebens auf dem Land beschwört Preston den Charme einer verloren geglaubten Welt herauf, die jedoch alles andere als idyllisch ist. Im Zentrum der Handlung steht Steve Elliman, ein wortkarger und raubeiniger Mann, dessen Leben seit seiner Geburt von der Schafzucht und dem kargen Dasein im Tal geprägt ist. Sein Vater lehrte ihn nicht nur, wie man Schafe hütet und das Land bewirtschaftet, sondern auch, wie man überlebt. Diese Fähigkeit wird für Steve zur zentralen Konstante in einem Leben, das von Entbehrungen und Enttäuschungen gezeichnet ist. Der Roman macht keinen Hehl daraus, wie hart das Leben im Lake District ist: Jeder Tag fordert Steves vollen Einsatz, und die Natur zeigt sich oft von ihrer grausamsten Seite. Die Handlung nimmt eine drastische Wendung, als eine tödliche Seuche das Tal heimsucht und die Schafzüchter in den Ruin treibt. Steve verliert alles – seinen Hof, seine Tiere und schließlich auch die letzten Reste von Stabilität in seinem ohnehin prekären Leben. Doch Steve ist ein Mann, der sich nicht so leicht unterkriegen lässt. Gemeinsam mit seinem Freund William, der ihm in seiner Sturheit und Widerstandskraft ähnlich ist, gerät er auf die schiefe Bahn. Die beiden entscheiden sich, eine Herde Schafe zu stehlen, um überleben zu können – eine Entscheidung, die sie unweigerlich in einen Strudel der Gewalt zieht. Was folgt, ist eine Abwärtsspirale, die das vermeintlich malerische Tal in ein blutgetränktes Schlachtfeld verwandelt. Die unbarmherzige Natur spiegelt die zunehmende Brutalität wider, die die Figuren in ihrem Kampf um die Existenz an den Tag legen. Preston gelingt es, die Ambivalenz dieser Welt einzufangen: Einerseits die natürliche Schönheit der Landschaft, andererseits die brutale Realität des Lebens in ihr. Diese Dualität zieht sich durch den gesamten Roman und verleiht ihm eine besondere Tiefe. Die Charaktere sind tief mit ihrer Umwelt verwurzelt. Für sie ist das mühsame Leben im Tal keine Last, sondern eine Selbstverständlichkeit. Ihre Moralvorstellungen sind den harten äußeren Umständen angepasst, und so erscheinen ihre Handlungen oftmals brutal und unreflektiert. Steve Elliman ist dabei die zentrale Figur, durch deren Augen die Leser diese Welt erleben. Preston lässt ihn die Handlung dominieren und nimmt sich selbst als Autor weitgehend zurück. Stilistisch wirkt der Text wie aus Steves Feder: kurze, abgehackte Sätze, die kaum Raum für Reflexion lassen. Diese Art des Schreibens unterstreicht Steves pragmatische und wortkarge Persönlichkeit, macht die Lektüre jedoch bisweilen anstrengend. Besonders auffallend ist, wie die Landschaft in die Handlung integriert wird. Preston verzichtet auf ausschweifende Beschreibungen und vermittelt die Umgebung stattdessen durch ihre unmittelbaren Auswirkungen auf die Figuren. Der beißende Wind, die eisige Kälte und die Verletzungen, die durch das harsche Terrain verursacht werden, lassen die Leser die Natur fast physisch spüren. Diese Technik macht die Erlebnisse der Charaktere spürbar und verleiht dem Roman eine authentische, wenn auch wenig angenehme Atmosphäre. Die literarische Qualität von "Über dem Tal" ist schwierig einzustufen. Der Roman weist deutliche Parallelen zu den Werken von Cormac McCarthy auf, verlegt jedoch das Setting vom amerikanischen Westen in den Norden Englands. Anstelle von Drogen oder Pferden stehen Schafe im Mittelpunkt – ein ungewöhnliches Objekt der Begierde, für das jedoch ebenso gestohlen und gemordet wird. Die Handlung weist immer wieder Elemente eines Krimis auf, mit Schießereien und Brandanschlägen, die bildreich beschrieben werden. Gleichzeitig gibt es leise Momente, etwa wenn Steve und seine langjährige Freundin Helen allein auf der Farm sind oder wenn die Männer in den Bergen ihre raue Freundschaft pflegen. Diese Wechsel zwischen laut und leise, zwischen Gewalt und Intimität, tragen dazu bei, die Spannung aufrechtzuerhalten. Die Verbindung zwischen Idylle und Gewalt ist eines der gelungensten Elemente des Romans. Die Symbiose zwischen Schafzucht und Kriminalität wirkt jedoch oft zu konstruiert, um wirklich zu überzeugen. Dennoch bietet "Über dem Tal" einen faszinierenden Einblick in eine Welt, die wie aus der Zeit gefallen scheint. Die Charaktere und ihre Lebensweise sind für den modernen Leser ebenso fremdartig wie faszinierend. Auf eine schräge und unkonventionelle Weise gibt Scott Preston diesen Menschen eine Stimme.