marcello
Nach dem riesigen Erfolg, den Lucy Clarke die letzten zwei Jahre in Deutschland hatte, werden ältere Werke von ihr im Eiltempo übersetzt und veröffentlicht oder hier wie bei „Last Seen“ noch einmal neu aufgelegt. Da ich bislang noch von keinem Buch von Clarke enttäuscht worden bin, entdecke ich jetzt auch gerne ihre früheren Geschichten. Da ich inzwischen schon bei fünf Büchern von ihr bin, ist es doch einfach zu sagen, dass man Clarke als Autorin immer gut erkennen kann. Es geht immer irgendwie in die Natur hinein und das in dem Sinne, dass es nicht darum geht, Figuren auf engstem Raum einzupferchen und alles explodieren zu lassen, sondern dass sie den Gewalten der Natur auf eine Art und Weise begegnen müssen. Hier gibt es im Vergleich nur überraschend wenig Perspektiven, indem wir Sarah und Isla haben, aber letztlich hat das auch gereicht, wenn man die Handlung rekapituliert. Während Sarah vor allem für die Gegenwart zuständig ist, ist Isla diejenige, mit der wir die Vergangenheit ergründen. Bei ihr war es anfangs etwas irritierend, dass es zunächst scheinbar einen Kommentar von Sarah gab, ehe sie dann in die Vergangenheit abgetaucht ist. Das erklärt sich letztlich als logisch hinaus, ist vielleicht aber auch etwas zu offensichtlich gewählt worden? Ich finde in jedem Fall, dass Clarke inzwischen etwas cleverer schreibt. Dennoch würde ich die Gestaltung von Islas Perspektive jetzt nicht als Fauxpas beschreiben, weil es genug weitere Ebenen gab, um den Verlauf spannend und mysteriös zu halten. Bislang war es in Clarkes Büchern durch die verschiedenen Perspektiven immer so, dass ich mich einigen Figuren näher fühlte als anderen. Hier ist schon auffällig, dass Sarah in allem etwas dominanter ist, nur leider ist sie auch die unsympathischere von beiden. Dementsprechend schwer war es oft, alles durch ihre Linse zu sehen, weil es mir doch schwer fiel, Empathie für sie aufzubringen. Ich finde zwar absolut, dass sie in sich sehr konsequent gestaltet worden ist und die Puzzlestücke sich dementsprechend sinnig zusammenfügen lassen, aber es wird zwischendurch auch ganz schön emotional und Sarah stellte da die Barriere da, es auch wirklich alles fühlen zu können. Mein Eindruck war letztlich, dass Sarah ohne Frage ein Trauma erlitten hat, was aber in der Folge dazu geführt hat, dass sie ihre eigenen Fehler immer anderen anlastet und so war sie eigentlich für alle um sich herum eine sehr toxische Persönlichkeit. Man hat nämlich angesichts der ganzen Figuren, die Sarah mit ihren Entscheidungen beeinflusst hat, gemerkt, dass sie für diese keine eigene Empathie aufbringen konnte. Das bedeutet umgekehrt nicht, dass Isla die Sauberfrau ist Sie macht auch Fehler und wirkt sich mit ihren Handlungen auf andere aus, aber es wurde doch auch immer deutlich, dass für sie ein Gemeinschaftsgedanken immer über dem eigenen Ansinnen stand. Deswegen war sie nicht perfekt, aber es war deutlich leichter, sich in sie hineinzuversetzen. Wenn ich jetzt von den Figuren einmal abkehre, dann hat der Handlungsverlauf durch den vermissten Jacob gleich am Anfang einen Sog. Zudem wird in angemessenen Abständen immer wieder mit mysteriösen Andeutungen gearbeitet. Dann gibt es vereinzelt Antworten, ehe wieder neue Fragen aufgeworfen werden. Das sorgt dafür, dass man „Last Seen“ wirklich zügig lesen kann. Es gibt am Ende auch viele Enthüllungen, manche überraschender als andere. Gerade bei so Büchern ist immer die Gefahr, wie viel ist noch realistisch und ab wann ist es nur noch übertrieben? Clarke ist für mich haarscharf an der Linie entlang geschrammt, indem sie dann noch eine weitere Figure entscheidend einbindet. Fazit: „Last Seen“ mag eines der früheren Werke von Lucy Clarke sein, aber es zeigt sich, dass sie ihre Stilistik schon lange ausarbeitet. Es ist also an Spannung und Figurenzeichnungen viel wiederzuerkennen, was ich als Leserin zu schätzen weiß. Einzige Stolperfalle war hier eigentlich Hauptfigur Sarah, die sehr dominant ist, die ich als Figur aber nicht packen konnte, so dass sie eine gewisse Bremse zur Emotionalität der Handlung darstellte.