auserlesenes
Für Jenny und Dominik Wagner ist es wie ein böser Traum: Eines Morgens steht die Polizei vor ihrer Haustür, um ihnen den Tod ihrer Tochter Ada mitzuteilen. Die 18-jährige Schüler hat sich von einer Brücke gestürzt. Der Rechtsanwalt und die Konditorin sind gleichermaßen geschockt und ratlos: Was ist vorgefallen, dass sich ihr Kind für eine solch verzweifelte Tat entschieden hat? „Was wir nicht kommen sahen“ ist ein Roman von Katharina Seck. Die Struktur des Romans erschließt sich schnell: Er besteht aus rund 40 Kapiteln. Erzählt wird aus drei verschiedenen Perspektiven, die von Ada, die von Jenny und die der „Anonymität“. Die Geschichte beginnt mit Adas Suizid. Danach gibt es mehrere Erzählstränge: die Vergangenheit, in der wir erfahren, wie es dazu gekommen ist, und die Gegenwart, in der die Eltern mit dem Tod ihrer Tochter umgehen müssen. Die Sprache ist bildstark, anschaulich und atmosphärisch. Gelungene Metaphern und realitätsnahe Dialoge zeichnen den Stil aus. Aus inhaltlicher Sicht geht es vor allem um digitale Gewalt, also Cybermobbing, insbesondere gegen Frauen. Damit beleuchtet der Roman ein sehr wichtiges Problem. Dargestellt werden sowohl die perfiden Methoden, wie Hass im Netz funktioniert, als auch die Auswirkungen. Stalking, Beleidigungen, Drohungen und andere Mittel der Einschüchterung und Diskriminierung werden eindrucksvoll geschildert. Die fundierte Recherche und Sachkenntnis der Autorin bei diesem Thema werden immer wieder deutlich. Der Text ist auch darüber hinaus gesellschaftskritisch. Die Geschichte setzt feministische Impulse. Außerdem sind aktuelle politische Tendenzen wie das Querdenkertum und der Rechtsruck im Text verarbeitet. Die Gedanken und Gefühle der Hauptfiguren sind ersichtlich, besonders die von Ada und Jenny. Nicht komplett überzeugt hat mich, wie sich die Eltern in ihrer Trauer verhalten. Schon auf den ersten der insgesamt rund 360 Seiten entwickelt die Geschichte einen Lesesog. Sie ist gleichsam emotional berührend und fesselnd. Das Cover ist ein wenig nichtssagend, gefällt mir in optischer Hinsicht trotzdem gut. Der Titel macht einerseits neugierig und passt andererseits sehr gut zum Inhalt. Mein Fazit: Mit ihrem Roman „Was wir nicht kommen sahen“ greift Katharina Seck ein allgemein relevantes Thema auf und schafft wichtige Aufmerksamkeit für den Kampf gegen Cybermobbing. Eine aufwühlende und empfehlenswerte Lektüre.