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Posted on 25.11.2024

*Ein bewegendes Debüt* Mit ihrem Debüt "Endlich das ganze Leben" hat die italienische Autorin Roberta Recchia einen beeindruckenden und ergreifenden Familienroman über Schuld, Verlust, Trauma, Hoffnung und die heilende Kraft der Liebe geschaffen. Recchias fesselnder Schreibstil zieht uns mit seiner Intensität schnell in den Bann und geht unter die Haut. Die in Italien angesiedelte Geschichte, in deren Mittelpunkt das Schicksal der Familie Ansaldo steht, erstreckt sich über einen Zeitraum von 30 Jahren und spielt zwischen den 1950er bis 1980er Jahren. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen Marisa und Stelvio, die sich im Rom der 1950er Jahre im Feinkostladen von Marisas Vater kennen und lieben lernen, und eine harmonische, erfüllte Ehe führen. Die glückliche Familienidylle zerbricht jedoch jäh, als ihre lebenslustige 16-jährige Tochter Betta während ihres Sommerurlaubs am Meer im August 1980 tot aufgefunden wird. Dieses einschneidende Erlebnis erschüttert die Familie zutiefst und teilt ihr Leben in ein "Davor" und ein "Danach". Der tragische Verlust zerreißt das familiäre Gefüge und lässt die Ansaldos in einen tiefen Abgrund aus überwältigender Trauer, Schmerz und Verzweiflung stürzen. Mit großem Feingefühl und besonderem Gespür für die menschliche Psyche schildert Recchia die komplexen emotionalen Auswirkungen von Bettas Tod auf die einzelnen Familienmitglieder. Ihr gelingt es hervorragend, tief in die Gefühlswelt der Charaktere einzutauchen und zeigt eindrucksvoll auf, wie das schicksalhafte Ereignis nicht nur das Leben aller Beteiligten grundlegend verändert, sondern auch die Dynamik innerhalb der Familie beeinflusst. Äußerst eindringlich fängt die Autorin die feinen Nuancen der Trauer ein und zeigt auf, wie jeder Einzelne mit dem persönlichen Schmerz ringt und dabei eine tiefgreifende innere Wandlung durchläuft. So zeichnet sie ein bewegendes und fesselndes Porträt einer Familie im Umbruch, die angesichts der schrecklichen Tragödie gezwungen ist, zu überleben und sich schließlich neu zu orientieren. Besonders eindringlich wird das Schicksal von Bettas Cousine Miriam geschildert, die unbemerkt von allen nach jener verhängnisvollen Nacht ein belastendes Geheimnis und großes Trauma mit sich trägt. Aus Angst und Scham versucht sie das Erlebte zu verdrängen, bis sie an der erdrückenden Last des Schweigens beinahe zerbricht. Durch die unerwartete Freundschaft mit dem jungen Gelegenheitsdealer Leo und seiner Schwester findet Miriam trotz tiefster Verzweiflung schließlich die Kraft zur Heilung und zum Neuanfang. Sehr einfühlsam und glaubwürdig stellt Recchia Miriams langsame, aber stetige Rückkehr zurück ins Leben und in eine Welt jenseits des Traumas dar. Mit diesem zarten Hoffnungsschimmer schafft sie nicht nur einen berührenden Kontrast zur sonst so bedrückenden Stimmung, sondern vermittelt zugleich eine kraftvolle Botschaft der Hoffnung. Auf berührende Weise verdeutlicht sie, dass Menschen selbst nach schwersten Schicksalsschlägen wieder ins Leben zurückfinden können. Recchia beweist ein beeindruckendes Talent für die Entwicklung äußerst vielschichtiger, authentischer Charaktere, insbesondere der weiblichen Figuren wie Marisa und Miriam. Sie versteht es hervorragend, ihre inneren Konflikte Beweggründe und seelischen Abgründe eindringlich und nachvollziehbar darzustellen. Die Autorin thematisiert in ihrem Roman nicht nur sensible Inhalte, sondern auch gesellschaftliche Missstände wie sexuelle Gewalt gegen Frauen und Vorurteile gegenüber den Opfern. Kritisch hinterfragt sie dabei weit verbreitete Vergewaltigungsmythen und gesellschaftliche Tabuisierung, die Betroffene daran hindern, sich mitzuteilen und Unterstützung zu suchen. Allerdings wirkt der Roman gegen Ende durch die Verdichtung an dramatischen Ereignissen und schwierigen Themen etwas überladen. Zudem erscheinen die präsentierten Lösungsansätze für die aufgeworfenen Konflikte für meinen Geschmack mitunter zu vereinfacht und stehen in einem gewissen Kontrast zur vorherigen so gelungenen differenzierten Darstellung. Die Auflösung wirkt dadurch stellenweise konstruiert und wird der Tiefgründigkeit der Problematik leider nicht ganz gerecht. FAZIT Eine beeindruckende, vielschichtige Familiengeschichte und ein fesselnder Debütroman, der tief berührt und zum Nachdenken anregt. Trotz kleiner Schwachstellen am Ende eine empfehlenswerte emotionale Lektüre!

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