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Sagota

Posted on 18.11.2024

"Wohnverwandtschaften" von Isabel Bogdan (HC, geb., 272 S.) erschien 2024 im KiWi-Verlag, Köln. Ich kannte die Autorin bereits von ihren hervorragenden Übersetzungen her (Jane Gardam) und dem drollig, witzigen Roman "Der Pfau". Mit diesem neuen Roman hat sie sich nun endgültig in mein Herz (auch für WG's, in denen auch ich in StudentInnenzeiten gerne lebte) geschrieben. "Jörg ist bei uns das Mehl, die Trägermasse, ohne ihn geht gar nicht. Vielleicht bin ich das Wasser, ich halte den Teig geschmeidig. Ich glaube, Anke ist die Eier, sie macht ihn fluffig und nimmt die Klebrigkeit raus. Mit Eiern ist schon super, und wir haben zu dritt ja auch wunderbar funktioniert, aber seit Constanze da ist, sind wir was Besonderes. Constanze ist die Kräuter. Das werden die besten Spätzle ever." (Murat) Quelle: Buchrückentext Besser kann man die vier sehr sympathischen Bewohner der WG, die sich von einer Wohngemeinschaft eher zu einer Wohnfamilie mausert, nicht beschreiben: Da ist Jörg (68), dessen Frau verstarb und der nicht alleine wohnen wollte. Weshalb Murat (um die 30) und Anke (Ü50) bei ihm einziehen konnten (und damit wieder "Leben in der Bude war, was Jörg sehr mag). Zu diesen Dreien gesellt sich, so beginnt dieser wirklich schöne, herzergreifende Roman nun auch Constanze (35), die sich von ihrem Lebensgefährten Flo trennte und auf die Schnelle als Übergangslösung in die bestehende Wohngemeinschaft einzog: Im Romanverlauf stellt sie vergleichend fest, dass dies viel eher ihrer Lebensart entspricht und die WG wird mehr und mehr zu ihrem Zuhause, das sie nicht mehr missen möchte. Hierfür könnte es vielerlei Gründe geben: Murat, ein starker, kluger und lebenslustiger junger Mann, der auch sehr empathisch ist und "ein zuverlässiger-in-den-Arm-Nehmer" und "zum Lachen Bringer" (Anke) kocht gerne für die ganze WG (sein Lieblingsspruch, auch wenn andere kochen) "Boah, riecht das geil!" 'durchzieht' von Zeit zu Zeit den Roman und brachte mich zum Lachen (und erinnern, da ich alle 11 Tage für 11 Leute bzw. 2 WG's kochen musste; an den übrigen 10 durfte ich mich an den Tisch setzen ;-). Murat liebt seinen Garten, aus dem er das zaubert, was wenig später auf den Tisch kommt und erfreut sich an allem - ja am Leben selbst. Wir begleiten ihn zu seiner Hobby-Fußballmannschaft, seinen 'Habibis' und feiern mit ihm Geburtstag, da er Gäste liebt (ebenso wie Jörg). Einmal zeigt der lebensfrohe und stets gutgelaunte, andere aufrichtende Murat auch eine Schwäche (auf der Hollywoodschaukel bei Constanze, die die WG seiner Meinung nach erst komplett machte) und ist mir deshalb umso sympathischer. Ebenso wie die anderen; Constanze, Zahnärztin mit Klavier, das eigentlich zu groß für ihr Zimmer ist und sie daher lange Zeit mit einem blauen Fleck am Bein herumläuft; Anke,Schauspielerin, die als über 50Jährige kaum Aussichten auf eine Rolle hat, jedoch am Romanende auf goldenen Boden fallen sollte und Jörg, der mit Mathias eine Reise in seinem alten Bulli nach Georgien unternehmen möchte, zuvor aber noch "sich selbst und den Bulli durchchecken lassen will". Nach einer Operation im Sommer wundern sich alle, dass Jörg noch immer (und immer öfter) "verpeilt" wirkt, auch wenn dessen Sohn lapidar meint, dass sein Vater schon immer etwas 'verpeilt' gewesen ist. Eine beginnende Demenz nimmt Formen an, die alle noch enger zusammenrücken lässt und offen beratschlagen, was nun am besten zu tun sei. Die auch alle an ihr persönliches Limit bringt, besonders Anke, die oft bei Jörg bleibt, weil alle ihn nicht mehr alleine lassen mögen. Bei einem Essen (georgisch) muss Sebastian, der in Südfrankreich mit Familie lebende Sohn, erkennen, wie es um seinen Vater steht.... Kann die Wohngemeinschaft, die sich längst zu einer Wohnfamilie entwickelte, bestehen bleiben oder muss jeder nochmal den Wegweiser des Lebens neu setzen? (Angebote gibt es, der Ausblick ist positiv, selbst für Anke). Berührend in dieser Frage ist das Weihnachts- und Silvesterfest, das alle gemeinsam feiern, sich auf dem Sofa zusammenkuscheln, während Jörg mit Alien, dem Hund schmust: Sie möchten "sich festhalten, möchten Jörg festhalten, möchten das Leben festhalten und das Scheißlametta." (Zitat S. 266) Der Stil Isabel Bogdans ist klar und schnörkellos; stellenweise sehr humorvoll und die Figuren sind überaus sympathisch, dabei so fein gezeichnet, dass sie fast real wirken (manche würde die Zusammenkunft solch' liebevoller Figuren vielleicht sogar etwas idealistisch sehen können). Aber gibt es nicht Lebenslagen, Situationen, die das Beste in uns herauskitzeln können? Daran glaube ich fest und habe Jörg, Murat, Anke und Constanze sehr gerne durch eine gewisse Zeit in der WG, pardon Wohnfamilie, begleitet und sie näher kennengelernt. Tiefgang war hier auch nicht zu vermissen, trotz des humorvollen Untertons, für den schon Murat oft sorgte (was ebenfalls eine Geschichte hat). Fazit: Ein humorvoller, warmherziger und lebenskluger Roman mit viel Tiefgang. Schnörkellos und klar geschrieben mit sehr sympathischen Figuren, die die Wohnfamilie bevölkern: In der einer für den anderen einsteht; Gemeinsinn vorhanden ist (besonders im letzten Romandrittel, der von einem ernsten Thema durchdrungen ist). Ein Plädoyer für Mitmenschlichkeit und die Wohnformen des Zusammenlebens, in der auch die sog. "Lavendelehe" wieder Einzug hält. Wofür bereits die Miet- und Lebenshaltungspreise sorgen könnten. Meine absolute Leseempfehlung an alle früheren, jetzigen und zukünftigen WG-BewohnerInnen für die Geschichte dieser ganz besonders sympathischen Wohnfamilie und ein dankeschön an die Autorin - es wäre nicht verkehrt, würde es viele Murats, Ankes, Constanzes und Jörg's geben :D 5* von mir!

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