MissSophi
Jennifer Boyard, dreifache Mutter und Leiterin des Familienunternehmens, ist eine Frau, die der Macht ihres Vaters erlegen ist. Zunächst scheint alles in bester Ordnung zu sein. Zwar beginnt das Buch mit einem Zeitungsartikel, welches das Unglück schildert, dass ein Junge im Eis einbrach und gerettet werden konnte, und im weiteren Verlauf der Geschichte spielt das noch eine wichtige Rolle. Aber dann wird das schillernde Leben des Produzenten geschildert, der sein Lebenswerk in die Hände seiner Tochter legt. Nach und nach erfährt man immer mehr über die Schlagerbranche und darüber, wie Jennifer in ihr aufgewachsen ist. Einzelne Rückblicke geben Aufschluss darüber, wie sie in einem goldenen Käfig aufgewachsen ist und wie sehr sie unter dem Einfluss des Vaters steht. Die Mutter hatte die Familie angeblich verlassen und ihre Brüder wuchsen in einem Internat auf. Erst als eine ehemalige Sängerin des Vaters diesen wegen einer Vergewaltigung beschuldigt, wird das ganze Ausmaß der Beziehung zwischen Jennifer und ihrem Vater deutlich. Denn dieser geht davon aus, dass sich alles regeln lässt und seine Tochter sich in seinem Sinne darum kümmern wird. Viele Dinge bleiben unausgesprochen – nur vage Andeutungen und dennoch ist das Buch sehr bedrückend. Es schildert sehr eindrücklich, wie die Mechanismen patriarchaler Strukturen funktionieren und wie weitreichend Macht sein kann. Manches ist verwirrend und zunächst irreführend – und für mich hat sich am Ende nicht wirklich alles schlüssig aufgeklärt. Dennoch ist das Buch ein Aufschrei, wenngleich es nicht so endet, wie man es sich als Leser vielleicht gewünscht hätte. Aber es zeigt genau diese Strukturen auf, die heute noch immer greifen und welche die Opfer mundtot machen. Es ist eine Gesellschaftsstudie, die so realistisch ist, dass es schmerzt. Es ist keine leichte Kost, kein Buch, welches man zur Unterhaltung so nebenbei lesen kann. Aber es ist eine Geschichte, die erzählt werden muss und das Milieu ist austauschbar, denn es zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten. Und auch wenn das Buch nicht so endet, wie man still erhofft hat, gibt es den Betroffenen eine Stimme, die, auch wenn sie am Ende schweigt nicht lauter hätte schreien können.