seeker7
Die KI-Revolution ist in den letzten ca. zwei Jahren ein solch umfassendes Mega-Thema geworden, dass es naheliegt, auch im Sachbuchbereich thematische Schwerpunkte zu bilden. Genau das tut die Philosophin WEBER-GUSKAR mit dieser vielversprechenden Publikation. Verfolgt man – z.B. in den einschlägigen YouTube-Accounts – den Wettbewerb der großen und mittleren Player im Bereich der KI-Sprachmodelle, der Bild- und Videogenerierung und der Büro-Assistenzsysteme (“Agenten”), wird einem angesichts der wöchentlichen Neuerungen geradezu schwindelig. Parallel dazu läuft das Rennen um die Vorherrschaft auf dem Gebiet der Robotik mit ähnlicher Intensität, aber mit deutlich geringerer Breitenwirkung. Im Vergleich dazu spielen sich die Entwicklungen in den Feldern, die hier “emotionale KI” genannt werden, fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab. Zwar wurde die emotionale Beziehungsmöglichkeit zwischen Mensch und KI in einigen Filmen thematisiert und vereinzelt tauchten Beispiele einzelner “verliebter” Programmierer auf – aber die reale Forschungsarbeit im Bereich der Gefühlserkennung oder Gefühlssimulation wird eher in Insiderkreisen (Sicherheitsdienste, Werbung) diskutiert. Das ist um so erstaunlicher, als das die KI-Beziehungs-App “Replika” schon seit 2017 auf dem Markt ist und im Jahr 2024 von mehr als 30 Millionen Menschen genutzt wird (und zwar schwerpunktmäßig von erwachsenen Personen beiderlei Geschlechts). Mit dem Buch von WEBER-GUSKAR ist die Zeit der Verborgenheit jedenfalls vorbei. Wir bekommen von der Autorin eine systematische, gut strukturierte und didaktisch vorbildlich aufbereitete Einführung in die Thematik. WEBER-GUSKAR gliedert den Bereich in drei Fragestellungen: – Wie weit ist die KI-Technologie der Gefühlserkennung fortgeschritten? (Die Grenzen liegen in der Feinanalyse und den meist fehlenden Kontexten für eine tatsächliche qualitative Zuordnung von Gefühlsinhalten). – Welche Entwicklungen gibt es bei der Simulation von Gefühlszuständen in der Interaktion zwischen Mensch und Maschine? (Das “Vorspielen” von gefühlsmäßiger Beteiligung funktioniert erstaunlich gut und kann zu problematischen Ergebnissen führen). – Wie sind die zukünftigen Möglichkeiten einzuschätzen, dass KI-Systeme selbst Gefühlszustände entwickeln könnten? (So wie Bewusstsein in KI-Systemen langfristig nicht ausgeschlossen werden kann, muss auch die Möglichkeit von Empfindungs- und Leidensfähigkeit mitgedacht werden). Die Autorin führt ihre Leserschaft in aller Ruhe und mit ausreichender begleitender Orientierung durch die spannende – für manche möglicherweise sogar unheimliche – Landschaft. Sie unterscheidet sehr klar zwischen der informativen Darstellung des Forschungs- bzw. Anwendungsstandes, der Einschätzung der tatsächlichen Leistungen bzw. Funktionen und einer kritischen Bewertung von individuellen und gesellschaftlichen Folgen der jeweiligen Technologie. Geleitet wir die Autorin durch Maßstäbe, die sie als Philosophin aus dem eigenen Fachbereich (z.B. der Ethik oder der politischen Philosophie) mitbringt. WEBER-GUSKAR ist aber auch mit psychologischen Befunden und Konzepten sehr gut vertraut. Sie zeigt sich prinzipiell offen auch gegenüber den kontrovers diskutierten Fragestellungen (KI-Systeme in der Pflege; KI-Beziehungspartner), ist aber weit entfernt von einer naiven Technikbegeisterung. Menschliche Bedürfnisse stehen bei ihr immer im Zentrum. Die Stärke dieses Buches liegt genau in dieser Differenzierung, in dem Abwägen von Chancen und Risiken, und zwar bemerkenswert konkret und nachvollziehbar. So beantwortet sie die Frage nach der Sinnhaftigkeit bzw. der Gefährlichkeit digitaler “Ersatz-Beziehungspartner” ebenfalls sehr abgewogen: Problematisch wird ihrer Einschätzung nach eine solche Beziehung (z.B. in der erwähnten App “Replika”) dann, wenn sich die virtuelle (eher spielerische) Ebene mit der Realitätsebene zu vermischen beginnt und der Mensch “in echt” davon ausgeht, in einer wirklichen Beziehung zu sein. Möglicherweise könnte für manche Leser/innen die Strukturierung des Textes ein wenig überzogen wirken. Das Buch ist eben keine locker-flockige journalistische Lektüre, sondern ein seriöses Sachbuch auf dem Weg zum Fachbuch. Als gut lesbarer und allgemeinverständlicher Einstieg in die Thematik der “emotionalen KI” ist diese Publikation kaum zu toppen.