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elkeschmitter

Posted on 9.11.2024

Ion Postolache+Raureif+Erinnerungen aus Moldau+ Ins Deutsche übertragen von Eva Ruth Wemme und Andreas Rostek+edition.fotoTAPETA+166 Seiten+ 15 € Eine Violinistin macht Karriere. Nicht in ihrem Land; es ist zu klein, zu arm, zu sorgenvoll für den großen Konzertbetrieb. Stattdessen in der Welt, in den großen Häusern Europas wie in Übersee. Doch sie erinnert sich zeitlebens an ihre Kindheit, an diesem "Fluss namens Räut, in dem meine Mutter mit ihren Brüdern in ihrer Kindheit noch schwimmen konnte. Aus den Karpfen und riesigen Hechten, die halb so groß waren wie die Kinder selbst, kochte meine Großmutter köstliche Speisen. Auch der aus dem Zirkus entlaufene Hofhund an der Leine bekam seine Portion, ja, so groß waren diese Fische, von denen die Menschen rund um den Fluss sich lang ernähren konnten. Bis er fast ausgetrocknet war." Die Violinistin heißt Patricia Kopatchinskaja, und sie wuchs auf in Moldau, dem wehrlosen Nachbarn der Ukraine und Russlands, immer in dessen Einflusssphäre und noch immer von ihm bedroht. Mit der sowjetischen Okkupation wurde den Menschen die rumänische Sprache untersagt, doch der Autor dieses Buches hat sie behalten. Kopatchinskaja schrieb ein persönliches Vorwort, denn der Autor ist ihr Großvater; er blieb im Land, während sie in die Welt ging. Er war Bauer und Tiermediziner, Kriegsgefangener und Vertriebener, und er erzählt sein Leben in einer besonderen Weise. Besonders, insofern er Mitgefühl ausdrücken kann, mit anderen und mit sich selbst, ohne je rührselig zu sein, und besonders, insofern von der Tragik, dem Schmerz und den Wirren des 20. Jahrhunderts berichtet, ohne je bitter zu werden. "Raureif" ist das Zeugnis einer untergegangenen Welt, auch in dieser Art der Betrachtung - als Lebenserzählung eines Menschen, der in einem längst vergessenen Sinne gläubig ist. "Ein frommer Mann", das war einmal eine Bezeichnung, die Vertrauen einflößte, die weder an Missbrauch noch an Fanatismus denken ließ; hier ist diese Art des sanften Weltvertrauens noch einmal zu erfahren. Elke Schmitter

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