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anne_hahn

Posted on 6.11.2024

Ein verstörender Roman über eine inoffizielle Prostituierte der DDR Dieses Buch polarisiert. "Was du kriegen kannst" ist ein Roman, der wie ein Sachbuch erscheint; wir lesen Protokolle, Gedächtnisprotokolle, Vereinbarungen und Beobachtungen. Alles ohne Anführungsstriche oder Zeitangaben über den Kapiteln, manchmal ein Datum, oft wird ausgestrichen: (schwarzer Balken) oder gar eine Bildunterschrift: Foto von Uta in Prag 2019 - kursiv eingefügt. All das ergibt eine Lebensgeschichte, die nicht chronologisch erzählt ist. Uta, in den 70er Jahren der DDR eine junge Frau in ihren Zwanzigern, hat Lust auf Sex. Sie trennt sich von ihrem übereilt Geehelichten, lässt ihr Kind bei den Eltern und lebt los. Bardame, Luxusfrau, It-Girl der Zone. Bald bekommen auch Kriminalpolizei und Stasi mit, wie gut sich Utas flottes Leben ausnutzen lässt. Sie will Geld, Schmuck, guten Alkohol und schöne Klamotten. Dafür schläft sie mit allen Männern, die ihr sauber und anständig erscheinen. Für Berichte verdient sie obendrauf. Bald fährt sie regelmäßig zur Messe nach Leipzig und in ein internationales Hotel nach Prag. Besticht Portiers und Kellner, schreibt oder diktiert anschließend Berichte. Wie die Männer sind, wo sie arbeiten, wann sie wiederkommen. Doch nicht nur das. Mal erzählt sie der Stasi von einem geplanten Fluchtversuch, mal von einem Westgeldkonto, das sich eine Kollegin in der BRD aufbaut. Sie besorgt Wohnungsschlüssel und arrangiert Treffen. Die Konsequenzen? Egal. Auch das später bei ihr lebende Kind wird kaum erwähnt oder beachtet. Gefühle? Fehlanzeige. Den Rahmen des Romans bildet die Recherche des Ich-Erzählers, der sich mit Uta trifft, in Bars geht, an Orte ihres Lebens fährt, Leipzig, Zwickau, Chemnitz, Prag. Beim Lesen schwankt man zwischen Anteilnahme und Ablehnung. Der Autor selbst bleibt ein Schemen, hier wäre mehr Auftritt wünschenswert gewesen. Eine Haltung zu den Leerstellen, die er kreiert. Was ist aus den Opfern von Utas Überwachung geworden? Was aus Familie und Freunden? Lief es wirklich so ab mit den Stasi-Offizieren? Muster deutet Böckmann an, auserzählt ist wenig. Utas Werdegang ein Kaleidoskop aus Fragmenten. Der Vater alter Kommunist, die Mutter eine gefühlsarme Hexe. Freunde kommen und gehen, die Mauer fällt, Uta schafft wieder an und trinkt sich zu Tode. Phantasieren und Paranoia inklusive. Es bleibt ein schaler Nachgeschmack, vor allem ein Gruseln über das Land, in dem eine Doppelmoral wie diese möglich war: „Anläßlich des Sicherungseinsatzes zur Herbstmesse 1973 lernte ich dort die (schwarzer Balken), wohnhaft in Karl-Marx-Stadt (schwarzer Balken) kennen. Von ihr erfuhr ich, daß sie umfangreiche Verbindungen zu männlichen Personen aus dem NSW unterhält. Ihren Äußerungen entnahm ich, daß sie diese Verbindungen auf der Grundlage sexuelle Beziehungen herstellt und sich davon finanzielle Vorteile sichert…“

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