anne_hahn
Von Katzen und Schlangen und dem Versuch, ein Mensch zu sein - ein Debüt-Roman von großer Wucht "Ich bestellte eine direkt nach Hause. Eine Königsboa." Bekim, der Ich-Erzähler dieses ungewöhnlichen Romans lebt in Helsinki, bestellt sich Männer zum Sex und eine Königsboa gegen die Einsamkeit nach Hause. Er ist in Finnland aufgewachsen und hat studiert, aber an der Universität lernte er „niemanden kennen und fand keinen einzigen Freund." Ausländer müssten sich ein dickes Fell zulegen, wenn sie etwas anderes tun wollten als den Finnen zu dienen, hatte sein Vater dem Jungen einst gesagt. Und gemeint, es habe keinen Sinn, zu versuchen, besser als sie sein zu wollen. Der Roman "Meine Katze Jugoslawien" erzählt die Geschichte eines Sohnes von Einwanderern und die seiner Mutter. Auf 317 Seiten verfolgen wir die verschränkten Erzählstränge ab Frühling 1980 in einem kosovarischen Bergdorf und in der Gegenwart eines kalten Finnlands. Klar und eindringlich berichtet das fünfzehnjährige Mädchen, wie sie an einen Mann verheiratet werden soll, den sie nicht kennt. Er sah sie auf einem Stein sitzen und warb um ihre Hand. Er war breitschultrig, sein Körper sehnig, „Der Sand knirschte unter seinen Schritten, und der Zigarettenrauch, der aus seinem Mund kam, blieb in der Luft stehen wie Staub.“ Das Mädchen befolgt alle Regeln, die ihr auferlegt sind, nicht in die Sonne gehen – die Braut sollte weiß sein, nicht mit Verlangen an den Bräutigam denken, fleißig und gehorsam sein. Die Mutter erzählt Emine, warum eine Frau wieder nach Hause zurückgeschickt werden konnte. „Eine hatte aus Versehen beim Eingießen des Tees gefurzt, eine andere hatte die Hemden ihres Mannes nicht gebügelt, eine dritte hatte ihrem Mann die Füße mit fast kochendem Wasser gewaschen…“ Bekim lernt derweil eine Katze in einer Bar kennen, eine perfekte schwarz-weiß gestreifte Katze, deren weiches Fell im gedämpften Licht glänzt. Er verliebt sich, nimmt sie mit nach Hause. Erzählt ihr von seiner Herkunft, dem Stigma des Fremdseins. „In meiner Kindheit und Jugend wünschte ich mir die meiste Zeit, mein Vater würde sterben. Ich betete darum. Wenn ich sah, wie er meiner Mutter den leeren Teller unter die Nase hielt, ohne ein Wort zu sagen – sie hatte auch so zu kapieren, dass er einen Nachschlag wollte – wie er ihr seine stinkenden Socken in den Schoß warf, was für widerliche Kommentare er von sich gab und wie verurteilend und strikt er allem um sich herum begegnete, wusste ich, dass er nie jemandem je eine Freude bereiten würde.“ Es ist nicht die Geschichte des Autors selbst, die sich hier in fataler Verstrickung ausbreitet, obwohl die Eckdaten sich gleichen. Pajtim Statovci war zwei Jahre alt, als seine Familie aus dem Kosovo nach Finnland auswanderte, wo er aufwuchs und Komparatistik sowie Szenisches Schreiben studierte. Bereits als Student veröffentlichte er 2014 sein Romandebüt Kissani Jugoslavia (Meine Katze Jugoslawien), wofür er den Helsingin-Sanomat-Literaturpreis und den Dublin Literary Award erhielt. Statovcis zweiter Roman Tiranan sydän (Das Herz von Tirana/finnische EA 2016, englische 2019, dt: Grenzgänge 2021) war 2019 Finalist des US-amerikanischen National Book Award. Ebenfalls 2019 erschien Statovcis dritter Roman Bolla, der mit einer Liebesgeschichte zwischen einem Kosovaren und einem serbischen Medizinstudenten im Priština der Neunzigerjahre einsetzt und den ausbrechenden Krieg erzählt. Seine Familie hat den Autor stets gefördert, begleitet. Umso beeindruckender die Empathie, mit der Statovci ein Elternpaar kosovarischer Herkunft zeichnet, das (scheinbar) nicht in der Lage ist, sich von diesen Prägungen und Traditionen zu lösen, selbst tausende Kilometer entfernt. „Ein Albaner ist bereit, für seine Ehre und sein Gesicht zu sterben, weil das Gesicht zu verlieren um ein Vielfaches schlimmer ist, als das Leben zu verlieren.“ Statovcis Romane haben eine verblüffend starke wie schillernde Stimme, die ein prekäres Balkanbild mit den Abgründen des Wohlstandseuropa mischt - beunruhigend und kompromisslos. In seinem Debüt, das zehn Jahre nach seiner Erstveröffentlichung nun auch auf Deutsch (genial und preisgekrönt übersetzt von Stefan Moster) vorliegt, spielen Tiere eine große Rolle. Nicht nur die Königsboa, die sich an den einsamen Mann in Helsinki schmiegt, oder die Katze in Menschengröße, die vorübergehend bei ihm einzieht und ihn ausnutzt, sind präsent. In den archaisch kosovarischen Einschüben des Romans springen und zischen Katzen wie Schlangen durch die Seiten. Surreal verwoben in das Netz der Erzählung von Gewalt, Machtmissbrauch und verhärteter Tradition, in eindringlichen und mitunter schönen Szenen. Wenn zum Beispiel der Bräutigam Barjam seiner Braut Emine im Hochzeitsgemach eine kleine weiße Porzellanschüssel hinhält, in der rohe weiße Bohnen schimmern und diese plötzlich in die Luft wirft – und die Braut ihr seidenes Nachthemd zu Boden gleiten lässt, die Bohnen eine nach der anderen einsammelt, sich unter das Bett und hinter die Kommode streckt, bis das Gefäß voll und der Penis des Bräutigams furchterregend groß ist… Am Ende taucht immer eine Katze auf. Jugoslawien ist ein vergangener Traum, dessen Zerbrechen zwischen den Zeilen Statovcis züngelt und sich Wort bricht, gespickt mit der Verachtung und dem Desinteresse ihrer neuen Heimat. Den oben anfangs zitierten Abschnitt über die Ehre des Albaners beendet der Autor mit balkanesker Ironie: „Albaner weigern sich, irgendeine Art von Scham zu empfinden. Sie fliehen davor bis ans Ende der Welt und widmen gleichzeitig ihr Leben der Aufgabe, zu beweisen, dass es nichts gibt, wofür man sich schämen muss.“