Buchdoktor
Johanna Stromanns Verleger hatte klargestellt: wenn deine Buchidee eines Klima-Thrillers scheitert, scheitern wir beide. Für seinen kleinen Verlag würde ein Misserfolg den sicheren Bankrott bedeuten. Icherzählerin Johanna hat schon einige Romane veröffentlicht und lebt in bürgerlichen Münchener Verhältnissen mit sehr gut verdienendem Mann und Tochter Finja. Polizei, Klima-Aktivisten und durch deren Aktionen genervte Verkehrsteilnehmer hatten zuletzt mit harten Bandagen gegeneinander gekämpft. Im Gegensatz zu den Klimaschützern, die vermummt auftreten und in Kleingruppen agil handeln, ist Johanna jedoch durch ihr Autorenfoto bekannt und bisher stets mit Realnamen aufgetreten. Ihr sollte klar sein, dass ihre Informanten kaum begeistert sein werden, wenn eine Romanautorin finanziell von ihrem Engagement profitieren will. In der nahen Zukunft nach dem Ende der Putin-Ära nehmen die Hiobsbotschaften über extreme Wetterlagen kein Ende, jedes Kapitel beginnt mit einer der Meldungen, die uns zu gut aus den Jahren 2023/24 bekannt sind und die die Spannung im Roman hochhalten. Die technische Welt hat sich bis auf Stefan Stromanns plaudernden Telefon-Bot kaum verändert. Besonders der seit Finjas Geburt bei Stromanns schwelende Konflikt um die Verteilung von Erwerbs- und Care-Arbeit wirkte auf mich rückständig. Hatten die drei Familienmitglieder (Finja ist 14!) seitdem keine andere Idee entwickelt als das Modell: wer weniger verdient, muss das Kind versorgen? Johanna recherchiert, stellt mit Infodumping sprachlich eher lahm meine Geduld stark auf die Probe und bekommt zum Glück die Kurve, als sie den altlinken Berufs-Revolutionär Marcus Heller kennenlernt. Er will, dass Johannas Buch „knallt“, hat offenbar aus den Fehlern von Fridays for Future gelernt und wird mit "Parts per Million" einen völlig neuen Öko-Terrorismus auf die Beine stellen. Sein Denkfehler ist deutlich: Die Vernichtung des Kapitalismus als Haupt-Gegner bleibt ein eher abstraktes Ziel. Wenn agile Kleingruppen Leute von der eigenen Seite nicht mehr identifizieren können, öffnet die Struktur Manipulation Tür und Tor. Gemäßigte Aktivisten könnten an Einfluss verlieren und Marcus würde unkontrolliert eine gefährliche Machtfülle aufbauen. Vor dem Hintergrund der immer schneller drehenden Gewalt-Schraube zwischen Polizei und Aktivisten entscheidet sich Johanna für die Bewegung und ist schon bald gezwungen unterzutauchen … Fazit Mit Johanna als Autorin und Icherzählerin bin ich anfangs nur schwer warm geworden und konnte ihr gerade die Autorin nicht abnehmen. Vielleicht ist sie als Figur exakt so beabsichtigt. Sie konnte mich jedoch fesseln, als sich die Frage stellte, wie weit sie zu gehen bereit ist (andere Aktivisten haben keine Familie) und wie sie ihr Leben im Untergrund finanzieren wird. Der Roman entwickelt sich zu einem spannenden Near-Future-Thriller, den ich auch Jugendlichen ab 14 empfehle, die die anfängliche Durststrecke in Kauf nehmen. 4 1/2 Sterne