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Buchdoktor

Posted on 29.10.2024

Karolina Ramqvists namenlose Icherzählerin erstattet rückblickend Bericht über eine Kindheit, in der Gefühle stets mit dem sinnlichen Erleben einer Mahlzeit verbunden waren. Kalte oder warme Milch, heißes Toastbrot, aber auch der Schock, wenn ein Teller vorbereiteter Pfannkuchen ankündigt, dass das Kind wieder eine Nacht allein zuhause sein wird. Eine wichtige Rolle spielen die Großeltern, die angereist kommen, wenn die allein erziehende Mutter länger abwesend sein wird, die Ferien im Schrebergarten der Großeltern und was die (1909 geborene) Großmutter kocht und bäckt. Die Großmutter verlässt den Haushalt ihrer Tochter nie, ohne das Tiefkühlfach mit selbstgebackenen Zimtschnecken gefüllt zu haben. Die heute erwachsene Enkelin wird früh darauf hingewiesen, dass man ein Gericht besser nicht ablehnt, wenn jemand es bereits vorbereitet hat. Mahlzeiten zeigen auch in Erbstücken ihre Bedeutung: der Esstisch im Format Großfamilie wird ebenso vererbt wie eine spezielle Auflaufform. Auch die Angst, ein mäkelig essendes Kind könnte verhungern, hat sich in der Familie vererbt. Die Erzählweise wirkt empathisch und glaubwürdig, ich hatte jedoch bereits zu Anfang den Eindruck, dass der Bericht einer vordergründig idyllischen Kindheit sich nicht an mich als Romanleserin richtet, sondern Aufgabe einer Klientin innerhalb einer Therapie oder einer Selbsthilfegruppe sein könnte. Beunruhig habe ich über die komplizierten Ver- und Gebote in der Familie gelesen. Die Mutter isst bestimmte Nahrungsmittel nicht und isst nie im Haushalt ihrer Mutter; die Großmutter kocht ständig, setzt sich jedoch nie zu gemeinsamen Mahlzeiten mit an den Tisch. Mit anderen spricht man weder darüber, was man zuhause isst, noch ob man gerade hungrig/durstig/traurig ist. Die frühen Sprechverbote bereiten der Erzählerin offenbar bis in die Gegenwart Probleme damit, Gefühle auszudrücken und Grenzen zu setzen. Wenn sie inzwischen erkennen kann, warum sie bis heute lieber selbst Gäste bekocht als in geselliger Runde am Tisch zu verbringen, ist sie offenbar auf einem guten Weg. Fazit Karolina Ramqvist erzählt von drei Frauengenerationen, die ihrer Tochter jeweils vererben, dass Liebe durch den Magen geht, und einer nur auf den ersten Blick durchschnittlichen Kindheit. Ein beeindruckender Roman - großartig beobachtet.

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