zauberberggast
Namen möchte ich jetzt keine nennen - das würde zu weit führen - aber in den letzten Jahren ist einiges ans Licht gekommen, was den Machtmissbrauch in den darstellenden Künsten, aber auch in anderen Branchen, betrifft. Meist junge Frauen, Männer und sogar Minderjährige, die - in den allermeisten Fällen - von männlichen Vorgesetzten unterdrückt, ausgebeutet, sexualisiert und teilweise sogar missbraucht wurden - wir alle haben dazu konkrete Beispiele im Kopf und den Hashtag #Metoo, der traurige Berühmtheit erlangte. Dabei liegt es sehr nahe, solche Geschichten zu fiktionalisieren, um ihnen eine Allgemeingültigkeit zu verleihen und den Betroffenen zu einer Identifikationsmöglichkeit zu verhelfen, die vielleicht dazu anregt, die eigene Geschichte ebenfalls zu erzählen. Die Autorin Ella Berman hat sich in ihrem Erstlingswerk “The Comeback” (2020) dieses kontroversen und doch so wichtigen gesellschaftlichen Themas angenommen. Sie hat das Buch bereits 2017 geschrieben, in den Folgejahren kamen immer mehr Missbrauchsgeschichten aus dem Showbusiness ans Licht, die Autorin hat sich aber dazu entschieden, ihre Geschichte nicht zu verändern. 2024 wurde das Buch für den neu gegründeten Verlag Pola Stories, ein Unterverlag von Bastei Lübbe, von Elina Baumbach in Deutsche übersetzt. Es geht um die 22-jährige Grace Turner (eigentlich Grace Hyde), die in ihrer Heimat England als 13-jährige für einen Hollywoodfilm gecastet wurde und im Zuge dessen mit ihrer Familie (Vater, Mutter und 8 Jahre jüngerer Schwester) nach Los Angeles zog. Sie erlebt eine Karriere als Kinderstar, verdient Millionen, wird drogensüchtig und alkoholkrank. Mit Anfang 20 verschwindet sie nach einem Zerwürfnis mit ihrem Entdecker Able von der Bildfläche. Was keiner weiß: Able hat sie jahrelang missbraucht und erniedrigt. Die eigentliche Geschichte handelt nun davon, wie sich Grace mit 22 Jahren zurück ins Leben kämpft und einen Comebackversuch startet. Die Gegenwartshandlung schreitet nur sehr langsam voran, was aber zur festgefahrenen Situation der Protagonistin passt, die im Moment nicht wirklich weiß, wie es mit ihr als Mensch und Schauspielerin weitergehen soll. Häppchenweise bekommen wir die Vergangenheit durch episodenhafte Rückblenden präsentiert. Wenn ich Schulnoten für dieses Buch vergeben müsste, könnte ich mich mit mir selbst sehr schnell auf eine Drei minus einigen. Berman hat ein super wichtiges Thema relativ leidenschaftslos und ohne erkennbare größere intellektuelle Anstrengung präsentiert - solide, in Ordnung, aber mehr auch leider nicht. Ja, wir bekommen Einblicke hinter die Kulissen des Filmbusinesses, aber diese sind sehr oberflächlich. Es geht oft um Drogen- und Alkoholkonsum, auch Body Shaming ist ein Thema. Die Protagonistin war mir weder sympathisch noch unsympathisch, sie war einfach nur da wie eine Statistin in einem Kostümfilm. Obwohl wir das Geschehen komplett aus ihrer Sicht verfolgen, ist sie mir einfach keinen Millimeter nahe gekommen. Die Beziehung zur Ehefrau von Able, Emilia, nimmt sehr viel Raum ein, ohne dass ersichtlich wäre, warum. Einzig Dylan als Nebenfigur war mir einigermaßen sympathisch, wobei er schon ein wenig zu “perfekt” war, um wahr zu sein. Die Leseerfahrung ist immer mein ehrlichstes Jurymitglied, wenn es um die Bewertung eines Romans geht. Und wenn ich immer wieder in Gedanken abschweife, um mein nächstes Buchfoto zu planen oder mir zu überlegen, was ich gleich esse, dann ist das wahrlich kein gutes Zeichen. Das Problem sind vor allem die langweiligen Dialoge zwischen Grace und wechselnden anderen Charakteren, die neben den Rückblenden fast die ganze Handlung ausmachen. Das eigentlich Spannende, nämlich die Konfrontation bzw. das Wiedersehen mit ihrem Peiniger, wird unendlich hinausgezögert. Als es dann gegen Ende des Romans endlich zu einem Aufeinandertreffen kommt, ist dies auch sehr schnell wieder vorbei und zugleich der Auftakt eines sehr theatralischen und unglaubwürdigen Höhepunkts des Romans. Sprachlich ist dieses Buch auch nicht das Gelbe vom Ei. Es ist zu einfach gestrickt, um auch nur annähernd literarisch bedeutsam zu sein. Ich habe kein Zitat verwendet für den Einstieg in diese Rezension. Das heißt schlicht und einfach, ich fand keine Aussage, die in diesem Roman gemacht wurde, die ich so bedeutsam oder sprachlich schön fand, dass ich sie mir hätte merken wollen. Die Autorin arbeitet gelegentlich mit dramatisch-pathetischen Sprachbildern, die inmitten der sonstigen Alltagsprosa maximal fehl am Platz wirken. Auch geht vieles ins Melodramatische, so dass der Roman nur knapp an dem vorbeischrammt, was man “Trivialliteratur” nennen würde. In einer Szene denkt Grace über ihre Hochzeit nach: “Während der Trauung hielt ich meinen Brautstrauß so fest umklammert, dass ich mir in den Finger stach und meinen weißen Jumpsuit vollblute.” (S. 57) Come on, der High-End-Blumenstrauß einer Hollywood-Millionärin dürfte erstens keine Dornen enthalten und zweites wird immer ein Band um solche Straße gebunden, damit genau sowas nicht passiert. Solche Bilder zu benutzen ist meines Erachtens billige Effekthascherei, die man eben nur in einfach gestrickten Romanen findet. Die Übersetzung aus dem Englischen erscheint mir stellenweise auch etwas zu nah am Originaltext, was mitunter merkwürdige deutsche Satzkonstruktionen nach sich zieht. Wobei natürlich auch sein kann, dass der englische Text nicht mehr hergibt. Fazit: Bei Interesse für die Opfer des Machtmissbrauchs in Hollywood macht es sicher mehr Sinn, ausgewählte Artikel der “New York Times” zu diesem Thema zu lesen. Daraus wird man einen größeren Mehrwert ziehen, als aus der Lektüre dieses langatmigen Romans. Allerdings habe ich schon begeisterte Rezensionen gesehen und daher kann das natürlich auch nur meine bescheidene Minderheitenmeinung sein.