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Gutenbuchclub

Posted on 28.11.2018

Deutschlandhass, Pop, Dandy, Kapitalismuskritik – all diese Geschichten wurden längst über Christian Krachts Debutroman erzählt, dessen Kombination aus Deutschlandreise, Sinnkrisen und Ärger über Alt-Nazis ihn zu einem Schulbuchklassiker haben avancieren lassen. 1995 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen wurde seinem Protagonisten in der Rezeption praktisch ausschließlich diagnostiziert, dass er an der Unmöglichkeit zerbreche, bedeutsame Beziehungen zu seinen Mitmenschen aufzubauen. Seine Begegnungen sind nicht mehr als Berührungen, flüchtig wie er selbst. Vielmehr wehrt sich der Text jedoch vehement und dankenswerterweise dagegen, die psychische Verfassung des Protagonisten in Zweifel zu ziehen. Der Reisende durchs Faserland ist nicht depressiv. Es sind Verbitterung und schierer Unwille, in einer schlechten Welt ein Positivbeispiel zu statuieren. Durch seine Augen werden Menschen zu platten Stereotypen, hinter denen vor allem die Frauenfiguren in die Bedeutungslosigkeit verblassen. Ihre Münder sind entweder zum belanglos Plappern oder Geküsstwerden da, allen voran Karins, der im Gegensatz zu einem "schwarzen Model" wenigstens ein Vorname spendiert wird. Letztere besitzt – natürlich – eine animalische Sexualität und verkommt im Faserland zu nicht mehr als einem Fetisch. Bei aller Unfassbarkeit sind es jedoch nicht Alkohol, Drogen, Sex, Partys – die weder heute noch Mitte der 90er-Jahre Schockpotential besitzen – die frustrieren und anekeln, sondern einzig die restlose Arroganz des Ich-Erzählers. Der Faserländer besitzt ungenutzte Freiheiten in verschwenderischer Fülle. Seine Auslöschung ist spätestens ein knappes Vierteljahrhundert nach Erscheinen des Romans nur konsequent.

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