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Familienepos und mögliche Zukunft Tommy Orange hatte mich mit seinem Vorgänger „Dort dort“ tief getroffen. Dieser Blick auf die Indigenen der USA mit diesem Showdown beeindruckte mich tief. Was bedeutet es in einem Land zu leben, dass in der Vergangenheit versucht hat, dein Volk zu vernichten, dass dich deines Landes beraubt hat und für das du ein Bürger zweiter Klasse bist. Interessante Blickwinkel. Man könnte im Gestern verharren und ewig wütend und unglücklich sein. Mit Recht und völlig nachvollziehbar. Man könnte sich auf eine Zukunft fokussieren und das Weiter in den eigenen Blick rücken. Könnte man. Aber eigentlich ist es doch die Frage wie viele Rückschläge ein Mensch verkraften kann. Oder? Denn wenn man ewiger Benachteiligung ausgesetzt ist, macht dies natürlich etwas mit den Betroffenen. Und dies ist in der Geschichte der Indigenen der Amerikas immer wieder beobachtbar. Schon in „Dort dort“ hatte Tommy Orange, selbst ein Indigener, ein Angehöriger der Cheyenne und Arapahoe, auf dieses Dilemma geblickt. Sehr intensiv geblickt. Mit „Verlorene Sterne“ rundet er nun „Dort dort“ noch ab. Denn in diesem intensiven Familienepos rechnet er grandios mit den USA, mit der Vergangenheit und mit dem Heute ab. Er lässt einige Protagonisten des Vorgängers in „Verlorene Sterne“ erneut auftreten, erzählt die Geschichte einer Familie der Cheyenne. Am Anfang steht der Horror des Massakers von Sand Creek, welches ein Glück nur kurz angeschnitten wird. Denn dieser Horror, dem die Südlichen Cheyenne damals ausgesetzt waren, würde eine Zukunft verneinen. Dieses Geschehen damals zu verzeihen, dürfte den Indigenen sehr schwerfallen. Und auch dem uninformierten Leser dürfte es danach sehr schwer fallen positiv in die Zukunft zu schauen. Denn was damals in Sand Creek mit den Indigenen passierte, übertrifft fast jeden vorstellbaren Horror. Wen es interessiert, lest „Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses“ von Dee Brown, dort schildern Augenzeugen das unmenschliche Geschehen von Sand Creek und von noch vielen anderen Orten in den jetzigen USA. Zurück zum Buch, „Verlorene Sterne“, ein Familienepos, welches fast zweihundert Jahre einer Cheyenne-Familie schildert. Sand Creek im Jahre 1864 ist der Beginn, das Heute ist das Ende. Das Geschehen vor „Dort dort“ wird geschildert und das Geschehen danach, die „Verlorenen Sterne“ umschließen „Dort dort“ und beide Bücher bilden eine Einheit. Beide Bücher zeigen was Unterdrückung und Rassismus mit den Cheyenne gemacht haben. Beide Bücher stehen exemplarisch für die Taten weißen Eroberer und deren Folgen für die Indigenen, für die Cheyenne und alle anderen Stammesgruppen in den USA, in Kanada, eigentlich in den Amerikas. Tommy Orange feiert damit in den USA Erfolge und dies ist richtig so. Denn hier gehört etwas geradegerückt. Gerade in diesem Wahljahr 2024. Tommy Orange schreibt in seinen Büchern über die Sucht, ein großes Problem für die Indigenen, resultierend aus langjährigem Fehlverhalten. Fehlverhalten im Damals und Fehlverhalten im Heute. Die Sucht, eine Erkrankung, die die Indigenen dahinrafft, dieser Tod auf Raten. Die Sucht, eine Erkrankung, die die indigenen Strukturen schwächt, eine Erkrankung, die in den Familien weitergegeben wird. Die Sucht, ein weiterer Krieg. Eine weitere Vernichtung. Aber Tommy Orange schreibt auch über eine Möglichkeit zur Umkehr, zeigt damit die Hoffnung, die die Indigenen sicher umtreibt.