Literaturlounge
Mit dieser Rezension habe ich mich aus aktuellem Anlass besonders beeilt. Ich hatte bei der Buchmesse dieses Jahr das Vergnügen, bei einem Interview mit dem Autor dabei sein zu dürfen und wurde schon neugierig. Wie hört sich eine Gesellschaftssatire an, die „aktuell, radikal, beklemmend und komisch zugleich“ ist? Ich war gespannt. Ja, zu Anfang hat der Roman viele komische Elemente. Timur Vermes spielt gekonnt mit Klischees. Nadeche Hackenbusch, der Star des Formats Engel im Elend erinnert spontan an eine Kombination aus diversen Sternchen, C-Promis und Fernsehformaten, wo ich oft zwischen schallendem Gelächter und fremdschämen schwanke – im wahren Lebe, wie auch bei diesem Hörspiel. Es ist so abwegig, dass man etwas solcher Art aus einem Flüchtlingslager sendet, dass ich mich fast schon wundere, warum es noch niemand gemacht hat. Der Gedanke, dass ein Sternchen aus Europa in einem Flüchtlingslager mit Designer-Jeans und BHs helfen will, ist einfach skurril. Ja, genau das ist Satire. Eine überspitzte Darstellung, über die man im optimalsten Fall lachen kann, aber im zweiten Moment auch darüber nachdenkt. Das ist hier sehr gut gelungen. Nadeche ist nur eine der Figuren, die sehr gelungen gestaltet sind. Auch die „Qualitätsjournalistin“ der EVANGELINE, Astrid von Roell, ist wunderbar gezeichnet. Mit dem was sie schreibt, erinnert sie mich an Artikel aus den sogenannten Frauenzeitschriften, die man manchmal aus Langeweile im Wartezimmer beim Arzt liest. Ich gestehe, so stelle ich mir diesen Bereich des Journalismus vor, auch wenn das jetzt ebenfalls oberflächlich ist. Reale Erfahrungswerte fehlen mir hier. Interessant finde ich die Wandlung von Nadeche im Laufe der Geschichte. Es ist zwar keine 180° Drehung, aber man merkt doch eine Veränderung. Es gibt eine gewisse Hoffnung, dass sich Menschen weiterentwickeln können – unabhängig von der Ausgangssituation. Gerade nach den letzten Landtagswahlen hatten die politischen Figuren des Romans eine starke Wirkung. Sie sind nicht nur einfach schwarz-weiß gezeichnet. Sie haben Schattierungen, die einen mehr, die anderen weniger, wie im echten Leben. Mir hat die ruhige und besonnene Art von Innenminister Leubl eigentlich recht gut gefallen, obwohl er in vielen Punkten sehr altmodisch war. Es ist leider nicht von der Hand zu weisen, dass sein letztlich pragmatisches Herangehen an die Situation wohl auch in der Realität nicht bei jedem gut ankommen würde. Das von Timur Vermes gezeichnete Szenario hat leider viele Elemente, die ich mir nur zu gut vorstellen könnte. Die Frage „In was für einem Land wollen wir eigentlich leben?“ sollten sich jeder stellen – vor allem die, die sich an Wahlen nicht beteiligen. Es könnte sich etwas entwickeln, was man so gar nicht wollte. Wer dachte, dies war schon mein aktueller Bezug, der irrt sich. Ich hatte letztes Wochenende bereits das Hörbuch im Autoradio und war gefesselt. Als ich dann in den Nachrichten von den Flüchtlingen in Südamerika hörte, die zu Fuß auf dem Weg in die USA sind, hatte ich das Gefühl eines Déjà-vus. Hatte ich nicht gerade etwas Ähnliches gehör? Im Roman ist es ein Treck von Flüchtlingen aus Afrika nach Deutschland. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, wie das Buch endet und war einfach nur von der Parallele fasziniert. Jetzt ist mir etwas bange, wie es wohl in der Realität weitergeht. Es stellt sich immer wieder die gleiche Frage. In was für einem Land wollen wir Leben? Zum Abschluss noch ein paar Worte zum Sprecher. Christoph Maria Herbst ist ein phantastischer Vorleser. Ich habe bereits einige andere Bücher mit ihm gehört und er arbeitet die verschiedenen Charaktere stimmlich hervorragend heraus. Sie werden lebendig. Bisher waren es meist Romane zumindest mit satirischen Elementen, bei diesem Buch ist dies nicht nur der Fall. Es gibt auch sehr ernste Teile, die Herr Herbst ebenso lebendig werden lässt. Ein außergewöhnliches Buch, gelesen von einem hervorragenden Sprecher.