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*Sehr bemerkenswerter Debütroman* In seinem beeindruckenden autofiktionalen Roman "Skarabäus“ erzählt uns der deutsche Debüt-Autor Hubertus von Prittwitz eine erschütternde, kafkaesk anmutende Coming-of-Age-Geschichte, die uns tief in die Psyche des jungen Protagonisten Friedrich blicken lässt. Die Erzählung geht über Friedrichs ergreifende Leidensgeschichte und seinen abenteuerlichen Weg in die Freiheit hinaus und gewährt einen gleichermaßen verstörenden wie fesselnden Einblick in die Abgründe einer zerrütteten, Adelsfamilie. Dabei offenbart sich ein vielschichtiges Bild familiärer Dysfunktion und generationenübergreifender Traumata. Der selbst aus einer Diplomatenfamilie stammende Autor verarbeitet in seinem Roman persönliche Erfahrungen und familiäre Traumata. Bewusst verwischt er dabei die Grenzen von autobiografischen und fiktionalen Elementen, was für eine besondere Authentizität und emotionale Tiefe sorgt. Nach der gewaltsamen Trennung von seiner Mutter und Schwester wächst der achtjährige Friedrich bei seinem Vater, einem BND-Agent, in einer surrealen Umgebung - dem "Dorf der Spione" in Neuried bei München auf. Dort, wo BND-Mitarbeiter ein vermeintlich langweiliges, unauffälliges Leben führen und selbst von anderen Geheimdiensten observiert werden, lauern hinter den makellosen Fassaden finstere Geheimnisse. Von Prittwitz zeichnet ein erschütterndes Bild einer Familie, die aus gestörten, traumatisierten Menschen besteht, und deren Geschichte untrennbar mit den politischen Ereignissen der Vergangenheit verwoben ist. Als Spross eines uralten Adelsgeschlechts trägt Friedrich die schwere Bürde überkommener Familientraditionen, die er fortführen soll. Das konservativ-altertümliche Rollenbild in seinem Zuhause steht in krassem Gegensatz zur sich wandelnden Welt außerhalb seines goldenen Käfigs, so dass Friedrich in einer beklemmenden Parallelwelt aufwächst. Einem übermächtigen, manipulativen Vater ausgeliefert, erfährt er emotionale Kälte, grausame Erziehungsmethoden und den Missbrauch durch seine Stiefmutter. Der Autor schildert detailliert einen von strengen Regeln, permanenter Überwachung und drakonischen Strafen geprägten Alltag sowie die allgegenwärtige Atmosphäre von Angst, Überwachung und Paranoia, in der Friedrich groß wird. Schonungslos führt er uns die subtilen psychologischen Taktiken des Vaters und der Stiefmutter vor Augen, die Friedrichs Autonomie untergraben und seinen Willen brechen sollen. Die Handlung entfaltet sich als intensive emotionale Achterbahnfahrt, die gleichermaßen fesselt, erschüttert und zum Nachdenken anregt. Gebannt folgen wir im weiteren Verlauf Friedrichs verzweifelten Fluchtversuchen, die ihn in kleinen Etappen Momente der Freiheit und Selbstbestimmung erleben lassen. Hervorragend kann man sich in die innere Zerrissenheit des Protagonisten hineinversetzen, wenn er sich immer wieder der engen Welt seines Familiengefängnisses und dem allgegenwärtigen Einfluss seines Vaters geschlagen geben muss. Mit zunehmendem Alter führen Friedrich seine Odysseen auf der Suche nach Freiheit schließlich über Indien, nach Kairo und in den Sudan in ein Strafgefangenenlager –einer Hölle, in der er sich einem harten Überlebenskampf stellen muss. Diese letzten eindringlich geschilderten, albtraumhaften Passagen, entwickeln eine äußerst beklemmende Dynamik und Intensität. Höchst bemerkenswert ist der Mut des Autors, mit Missbrauch und familiärer Gewalt ein derart persönliches und tabuisiertes Thema zu behandeln und die langfristigen psychologischen Folgen für die Opfer von Gewalt und Missbrauch aufzuzeigen. Zudem übt von Prittwitz scharfe Kritik an der Welt des Adels und der elitären Kreise, an ihrer Doppelmoral und ihrem schockierenden Missbrauch ihrer Privilegien und Macht. FAZIT Ein beeindruckendes und verstörendes Debüt, das durch den persönlichen Bezug tief berührt und zum Nachdenken anregt. Keine leichte, aber sehr lohnenswerte Lektüre, die sich vielschichtig mit den Themen Macht, Missbrauch, häuslicher Gewalt und der Bürde der Familiengeschichte auseinandersetzt.