Gabriele
Familiengeschichte aus Indien Nachdem mir vor Jahren >Das Ministerium des äußersten Glücks< von Arundhati Roy sehr gut gefallen hatte, wollte ich unbedingt ihr Debüt lesen, das ebenfalls von vielen Lesern für gut befunden wurde. Doch die Autorin hat es mir nicht leicht gemacht. Zu viele Zeitsprünge, Ausschmückungen und dadurch entstandene Längen erschwerten mir das Lesen. Die Struktur der gesamten Textes erinnerte mich an ein in sich verschlungenes Paisley-Muster. Lange war mir nicht klar, worum es in der Geschichte geht, die um 1970 im ländlichen Indien spielt. Esthappen und Rahel sind zweieiige Zwillinge einer geschiedenen Mutter. Sie leben im Haus der Großmutter, ebenso wie ihr ebenfalls geschiedener Onkel Chacko. Sie bekommen Besuch von dessen, zum zweiten Mal verheirateten, englischen Exfrau und seiner Tochter Sophie Mol. Die ist mit ihren acht Jahren gerade mal ein wenig älter als ihr Cousin und die Cousine. Nachdem ein schrecklicher Unfall passiert ist, wird Esta zu seinem Vater geschickt („zurückgegeben“). Nun müssen die bisher unzertrennlichen Zwillinge die nächsten 23 Jahre ohne einander auskommen. Dieses Buch erzählt die gesamte Familiengeschichte; ehe zum Schluss klar wird, wie das Unglück zustande kam. Auffallend ist die Lust der Autorin am Fabulieren: „Nachdem die Stille erst einmal da war, blieb sie und breitete sich in Esta aus. Sie wucherte aus seinem Kopf heraus und nahm ihn in ihre morastigen Arme. Sie sandte ihre unsichtbaren mit Saugnäpfen versehenen Tentakeln in seinem Gehirn aus, wo sie die Kuppen und Täler seines Gedächtnisses absaugten, als Sätze entfernten, sie von seiner Zungenspitze fegte.“ (Seite 21) Um die Fremdheit in Indien zu begreifen, sind zwar Erklärungen zum Verständnis von Land und Leuten unumgänglich, forderten mich als Leserin aber gewaltig heraus. Zu leicht verlor ich zwischendurch den Faden, weil die Autorin vom Hundertsten ins Tausendste kam. Die Personen blieben mir sehr lange merkwürdig fremd, so manches konnte ich nicht nachvollziehen. Doch es gab auch Abschnitte, die mich fesselten und am Aufgeben hinderten. Ich lasse mich von meiner Lektüre gerne in fremde Länder mitnehmen und gerade Indien zeigte mir mit seinem Kastendenken, Aberglauben und seinen verschiedenen Göttern eine Welt, die mich fasziniert. Auch der immer wieder aufblitzende Humor der Autorin gefiel mir. Doch endgültig für sich eingenommen hat mich das ergreifende Ende des Buches. Das hat bewiesen, dass sich das Durchhalten gelohnt hat. Es trieb mir vor Entsetzen und Wut Tränen in die Augen. Fazit: ein Buch für geduldige Leser, die an Längen nicht scheitern.