schnaeppchenjaegerin
Annika ist in Lübeck mit Hendrik verheiratet und hat dort das Schreibwarengeschäft ihres Schwiegervaters übernommen, wo sie selbst Postkarten illustriert. Unbedarft verkauft sie einer jungen Frau Sekundenkleber, die damit wenig später für eine Straßensperre sorgt, um auf die "Klimakatastrophe" aufmerksam zu machen. Als Luzie festgeklebt in Bedrängnis gerät, fühlt sich Annika an ihre Freundin Milena erinnert und zeigt sich mit dem Mädchen solidarisch. Sie erinnert sich an ihre Zeit in den 1980ern und sorgt sich um Luzie, die bei weiteren Protesten in Gefahr geraten könnte. Annika folgt ihr nach Hamburg zu einem Klimacamp und fühlt sich dort erst recht mit der Vergangenheit konfrontiert. Ihr Weg führt sie weiter zu Matti nach Venedig, mit dem sie in den 1980ern eng verbunden war. Der Klappentext nimmt bereits viel vorweg, denn bevor man in die Vergangenheit und die Hausbesetzerszene in den 1980er-Jahren in Hamburg eintaucht, handelt die erste Hälfte des Romans in der Gegenwart. Erst dann erfolgen einzelne Erinnerungen Annikas an ihre Jugend und die Zeit zwischen 1982 und 1986. Aus der Distanz betrachtet, ist die Beschreibung nicht so bewegend wie erwartet. Erinnerungen vermischen sich mit einer Nacherzählung der Ereignisse und der Gegenwart, was den Lesefluss zunehmend hemmt. Die für Annika prägende Zeit, die in der Gegenwart so viel auslöst, bleibt zu oberflächlich und lässt Details über den Alltag in der Hausbesetzerszene, aber auch über die Bindung zwischen Annika, Matti und Milena vermissen. Mit der Klimakrise und den streitbaren Klimaaktivisten hat die Autorin ein aktuelles und gesellschaftlich relevantes Thema gewählt. Luzie, die sich zur Letzten Generation zählt, wirkt in ihrem Handeln authentisch. Annikas Verhalten ist hingegen kaum nachzuvollziehen. Für eine Frau über 50, die mit beiden Beinen im Leben steht, löst die fremde 17-Jährige sehr viel in ihr aus und lässt sie kurzfristig ihr gesamtes Leben über den Haufen werfen. Andere Charaktere, insbesondere Milena und Matti bleiben blass. Die Einblicke in Vergangenheit erfolgen nur häppchenweise, weshalb die Hausbesetzer-Thematik oberflächlich bleibt und die damalige Zeit - anders als bei Romanen auf zwei Zeitebenen - nicht aktiv miterlebt werden kann. Der Roadtrip, der der Vergangenheitsbewältigung dient, wird in die Länge gezogen bis es endlich zu einer Aussprache mit Matti kommt. Da schon vorab klar ist, dass es in der Vergangenheit ein Missverständnis gegeben hat, ist die Aufklärung dann nicht mehr ganz so spannend und die Aussprache nach fast 40 Jahren fast schon inhaltsleer. Unter "Tage mit Milena" hatte ich eine Geschichte über Freundschaft und Vergangenheitsbewältigung erwartet, in denen die Hausbesetzerszene eine entscheidende Rolle spielt. Überlagert wurde die Handlung vielmehr von Annikas kopflosem Verhalten und ihrer überstürzten, dramatischen Reise über Hamburg nach Italien. Dass sich Luzie einfach mal so einer fremden Frau anschließt statt ihre eigenen Pläne umzusetzen, empfand ich nicht schlüssig. Das Geheimnis, das sie birgt, ist zwar offensichtlich, wird jedoch erst am Ende aufgelöst, wodurch der Spannungsbogen nur künstlich aufrecht erhalten wird. Das Duo und ihr abenteuerlicher Weg haben für mich nicht funktioniert, weshalb ich die Umsetzung der eigentlich so spannenden politischen Themen nicht gelungen fand. Die Charaktere und ihr Zusammenspiel konnten mich genauso wenig für die Geschichte einnehmen wie das verwirrende Wechselspiel zwischen Erinnerungen und gegenwärtigen Ereignissen.