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Buchdoktor

Posted on 15.9.2024

Honora O‘Neill, von der man sagt, sie hätte sich als halbwildes Geschöpf selbst aufgezogen, ist im letzten Jahr der großen Hungersnot (1845-49) in Irland 20 Jahre alt. Der Hungermarsch nach Doolough, auf dem die schicksalsergebenen Menschen bereits so abgemagert waren, dass sie sich gegenseitig nicht mehr erkannten, zeigt ihr, dass sie als mutterlose Außenseiterin in Irland nichts mehr zu verlieren hat. Selbst ihr Lehrer, dessen beste Schülerin sie einmal war, bekräftigt sie darin, das Land zu verlassen. Ein mannshoher Schlehdornstock, den die alte Alice ihr überreicht, soll sie begleiten. Jahre später treffen wir in der Prärie von Oregon eine Frau, die sich Nell nennt und in den Westen zog, um in New York nicht als Hausmädchen ausgebeutet zu werden. Auch wenn sie in der neuen Welt stets vermied aufzufallen, war sie nicht vor Verrat geschützt. Ihre Zweckehe mit Prosper und die Plackerei auf zugeteiltem Farmland übersteht Nell allein durch die aufmunternden Worte der alten Alice im Ohr. Ein angeblich herrenloses Indianerpony in Nells Besitz erweckt die Aufmerksamkeit eines Indigenen Cayuse und so kommt es zur – durchaus glaubwürdigen – Begegnung zwischen irischer Auswandererin und einheimischer Bevölkerung. Fazit Honora, die als Jugendliche barfuß gehen musste und im Sommer im Wald schlief, hat ein besonderes Verhältnis zur Natur und nimmt Klänge und Wetterphänomene in Farbtönen wahr. Eine entscheidende Rolle spielen in Honoras Geschichte die Sprache, ihre innere Stimme und das Schweigen, verknüpft damit, dass sie sich als Emigrantin selbst aufgeben muss, um zu überleben. Jacqueline O’Mahony lässt ihre Leser:innen durch Honoras Augen einen weiblichen Blick auf den historischen Marsch nach Doolough werfen und gibt durch die Figur des indigenen Joseph auch seinem Volk eine Stimme. Ein berührendes Buch, das für mich gern umfangreicher sein dürfte. 4 1/2 Sterne

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