anne_hahn
Ein bluttriefender, feministischer Schwestern-Rache-Roman der Extra-Klasse! Dieses Buch kann man so schnell nicht wieder vergessen! Weglegen sowieso nicht. Zum Glück ist der Debüt-Roman "Blutsschwestern" der noch in Jugoslawien geborenen und in Österreich beheimateten Autorin Ana Wetherall-Grujić nur knappe 200 Seiten lang. Die Sub-Geschichte ist relativ gewöhnlich: zwei serbienstämmige Schwestern sind verstritten und haben, in Wien lebend, seit zehn Jahren keinen Kontakt mehr. Schuld sind die Mutter, die alte Heimat, der Krieg. Die ältere Schwester Sanja will Karriere machen: "Vor ein paar Minuten hatte sie beim wöchentlichen Meeting ihre Zahlen präsentiert. Ergebnisse, die die besten in ihrem Team waren. Statt sie zu loben, hatte Philipp ihr gesagt, dass sie auf die Formatierung ihrer Wochenreports achten solle. Sie hatte nur genickt. Es ging schon um den nächsten Agendapunkt.“ Sanja wird nicht ernst genommen und der Sex mit den Tinder-Treffern ist nicht immer ein Volltreffer. Dann überschlagen sich die Ereignisse im Leben der Single-Frau. Ihre Mutter ruft sie zur kleinen Schwester Ljiljana, die im Krankenhaus liegt, eine Gesichtshälfte verloren hat und sofort weg muss. Nach Serbien. Der Grund dafür ist ein gewalttätiger Mann. Sanja handelt und beide Blutsschwestern finden sich bald hinter der Grenze in einem Hexenhaus wieder und erfahren bei zwei weisen wie brutalen älteren Schwestern Hilfe und einiges über ihre eigene Geschichte. Zwischendurch wird ein wenig die Faust geschwungen, das Messer gewetzt oder ein Medikamentencocktail verabreicht. Böse Menschen tauchen auf und müssen besiegt werden. Die Vergangenheit schimmert im Gegenwärtigen blutig auf. „Sie hätten damals mit euch machen sollen, was sie mit ihr gemacht haben,‘ sagte Zdravka. ‚Sie hätten euch danach einfach alle nur töten sollen.‘ Und obwohl Sanja nicht wusste, was sie meinte, spürte sie, dass es jetzt keine Rettung mehr gab. Bevor sie sich umdrehen konnte, streifte ein Luftzug ihr Gesicht. Sie hörte ein Schmatzen und sah, wie Zdravka auswich. Blutstropfen spritzten an die Wand. Sanja trat einen Schritt zurück und spürte ein Regal im Rücken, sank daran hinunter.“ Die Splatter-Passagen sind eindringlich und wütend geschrieben, hier bricht sich eine neue Stimme, ein aufregendes Potential Bahn. Auch wenn es für mich die Drastik der Verletzung der jüngeren Schwester nicht gebraucht hätte; ich ließ mich von der Wucht des Geschilderten mittragen in dunkle serbische Wälder voller Gräber und Graben. Das Buch endet überraschend und beinahe versöhnlich, auch wenn es beileibe kein Happy End bietet. Ein verstörende Road-Story über die Auswirkungen des Jugoslawien-Krieges, weibliche Selbstermächtigung und Solidarität sowie Schwesternliebe – herausragend!