hyperventilea
Mord im Schlaf? Interessanter Fall mit wendungsreichem, überraschenden Finale „Wir weiden uns zwar an Geschichten über Menschen wie du und ich, sind aber überzeugt davon, dass wir selbst ganz anders sind. Im Schlaf jedoch sind wir alle gleich.“ Dr. Ben Prince ist Psychologe und Schlafforscher. Er soll sich um einen ganz besonderen Fall kümmern: Seine Patientin Anna O. scheint vor vier Jahren im Schlaf zwei Menschen kaltblütig ermordeten zu haben. Sie wurde mit einem blutigen Messer in der Hand gefunden. Seitdem befindet sie sich in einem schlafähnlichen Zustand und ist bisher nicht mehr aufgewacht. Ben setzt alles daran, Anna zu wecken, um die Umstände der Morde näher beleuchten zu können. Ob es ihm gelingt? Ist Anna tatsächlich eine Mörderin? Die Lage spitzt sich zu, als ein weiterer Mord geschieht. Die Geschichte wird aus mehreren Perspektiven geschildert. Hauptsächlich wird die Sichtweise von Ben dargestellt, zwischendurch sind aber auch Passagen aus Annas Notizbuch abgedruckt. Zudem kommen Annas Mutter Emily, die unbekannte, aber sehr gut informierte Lola, ein ominöser Patient X, für den Anna sich früher interessierte, und die Polizistin und Matthews Exfrau Clara zu Wort. Es wird nicht durchgehend chronologisch erzählt. Wie die einzelnen Abschnitte zusammenhängen, klärt sich zum Schluss. Der Roman liest sich flüssig und leicht. Alle handelnden Personen sind vielfältige, interessante aber auch sehr spezielle, herausfordernde Charaktere, denen ich beim Lesen nicht richtig nahe kam. Sympathien konnte ich daher für niemanden entwickeln. Aus Anna, durch Schlaf zur Passivität verdammt, wurde ich nicht richtig schlau. Ihr Notizbuch offenbart teilweise ihre Motive, richtig einschätzen kann man die Figur aber dennoch nicht. Auch in der Öffentlichkeit wird Anna sehr zwiespältig und unterschiedlich wahrgenommen. Wer ist sie wirklich? Ben Price scheint von dem Fall Anna O. besessen, der auch sein Privatleben ordentlich aufmischt. Bens Exfrau Clara hat als Kriminalkommissarin eine etwas anderes geartetes Interesse am Fall, geht es ihr doch darum, für Gerechtigkeit zu sorgen und Mörder zu überführen. Annas Familie wirkt alles andere als aufrichtig und ehrlich, obwohl ihre Mutter Emily sogar ihre Karriere als Politikerin aufgegeben und sich offiziell dem Glauben und Gott zugewandt hat. Hier ist niemandem zu trauen und jeder ist potenziell verdächtig. „Anna O.“ ist für mich nicht der atem- und schlafraubende Thriller, als der er beworben wird. Das Buch lässt sich zwar durchgehend leicht lesen, doch gerade am Anfang passiert insgesamt doch recht wenig und es werden immer wieder längere wissenschaftliche Fakten und Erklärungen zum Schlaf eingeschoben. Auch im Mittelteil bleiben der Leserschaft einige Phasen zum Durchatmen und man bekommt hinreichend Gelegenheit, sich mit der Frage von Schuld und Schuldfähigkeit auseinanderzusetzen, mit der einem der Roman konfrontiert. Das Ende hat es auf besonderes Weise in sich: überraschend bis zur letzten Seite mit mehreren, raffinierten, aber teils etwas überkonstruierten Wendungen. Mich hat der Krimi, den ich innerhalb von zwei Tagen gelesen habe, insgesamt recht gut unterhalten. Kein Thrillerhighlight, aber gerade zum Ende hin ein spannendes Leseerlebnis.