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anni_anushka

Posted on 28.8.2024

Ein exquisit gewobenes Märchen von Flüssen und Menschen Was verbindet einen brutalen Herrscher des blühenden Mesopotamiens des 7. Jahrhunderts vor Christus mit einem armen britischen Jungen an der Themse im Jahr 1840, einem neunjährigen ezidischen Mädchen am Tigris im Jahr 2014 und einer Hydrologin in London im Jahr 2018? Sie alle verbindet ein einzelner Wassertropfen, immer derselbe, der vom Himmel fällt, irgendwann, manchmal Jahrzehnte später, verdunstet und wieder zur Erde fällt. Kann er sich erinnern an die Schicksale, die er bezeugt hat? Hat Wasser ein Gedächtnis? Zumindest hat Wasser eine Bedeutung und noch dazu eine große und vielfältige. In diesem mitreißenden Roman, der die Lebensgeschichten des Jungen Arthur, des Mädchens Narin, der jungen Frau Zaleekha und des alten Mesopotamiens miteinander verwebt, spielen vor allem Flüsse eine zentrale Bedeutung. Aus James' Perspektive erleben wir eine Themse, die durch menschliche Abfälle regelrecht lebensfeindlich geworden ist. Aus Narins Sicht verfolgen wir mit, wie durch die Stauung des Tigris die historische Stadt Hasankeyf und mit ihr die Geschichte eines Volkes untergeht. Und von Zaleekha erfahren wir, dass in den Städten Europas vergessene Flüsse existieren, über die einfach darübergebaut oder die eingemauert wurden. Und doch ist dieses Buch mehr als die Geschichte von Flüssen, auch wenn diese eine zentrale Rolle einnehmen. Denn ein weiteres zentrales Thema kristallisiert sich beim Lesen bald heraus: die Geschichte der Eziden und ihrer Verfolgung. Schon Arthur wird in den 1870ern auf seinen Reisen zum antiken Castrum Kefa, wo er auf der Suche nach verschollenen Stücken des Gilgamesch-Epos' ist, vor den "Teufelsanbetenden" gewarnt, die in dieser Region leben sollen. Mehr als zwei Jahrhunderte später vernimmt Narin diese Schmähung am Ufer des Tigris. Wenige Wochen später findet sie sich im Sindschar-Gebirge wieder, umzingelt von IS-Anhängern. Wenige Jahre später hadert Zaleekha mit ihrer eigenen Herkunft aus dieser Gegend und hat ein zwiegespaltenes Verhältnis zu Wasser. Es fällt nicht leicht, dieses Buch zu beschreiben. Es ist ein exquisit gewobenes und verwobenes Märchen aus unterschiedlichen Handlungssträngen, die zunächst wenig miteinander verbunden scheinen. Und doch ist jede Geschichte für sich selbst fesselnd und emotional anrührend. Auf den ersten Seiten habe ich zwar mit dem Buch noch gefremdelt, da die Abschnitte jeweils recht kurz sind und ich zunächst nicht in die einzelnen Geschichte gefunden habe. Danach konnte aber auch mich der Strom mitreißen, das erzählerische Geschick ergreifen und die Handlung absolut überzeugen. Shafak hat eine Erzählung geschaffen, die einem beim Lesen so vieles gibt und gleichzeitig ohne erhobenen Zeigefinger auf die verzweifelte Lage einer Minderheit aufmerksam macht, die auf eine unglaublich lange Geschichte zurückblicken kann. Dieses Buch ist meiner Meinung nach ein Meisterwerk, sowohl inhaltlich als auch stilistisch, das die Vergänglichkeit der Menschheit und der Erinnerung grandios herausstellt.

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