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wandanoir

Posted on 24.8.2024

Kurzmeinung: Sich erinnern, um zu heilen! Aus der kindlichen Perspektive geschilderte Odyssee einer Flucht von El Salvador über Guatemala in die USA. Der Autor verarbeitet in dem Roman „Solito“ seine eigene Fluchterfahrung im Alter von etwa 9 Jahren. Er schreibt in einem Interview, er hätte Therapie gebraucht um im Nachhinein diese Erfahrungen zu verarbeiten und musste Zeit mit seinem inneren Kind verbringen, nämlich dem Jungen, der er damals gewesen ist. Der Kommentar und das Leseerlebnis: So wie der Autor nun Zeit mit dem zehnjährigen übergewichtigen Jungen Javier verbringt mit seinen ganzen negativen und positiven Erfahrungen auf der Reise (na ja, Reise), macht es auch der Leser. Er muss sich ganz auf die kindliche Erlebniswelt und Perspektive einlassen. Es ist eine einfache Schreibweise mit vielen Wiederholungen, die der Roman liefert, mit einem ruhigen Anfangsteil, der zeigt, in welchem Familiengefüge der Junge in El Salvador aufwächst: man ist arm, aber man hält zusammen, man hat nicht viel, aber man ist als Kind frei und ohne Angst. Liebevoll gehen Großeltern und Tante mit ihm um, aber seit er fünf Jahre alt ist, weiß Javier, dass er nach La Gringolandia emigrieren wird, einem Land, in dem Milch und Honig fließen werden und jeder einen Swimmingpool hat und ein großes Anwesen und viele Spielsachen – mit einem Wort, wo das Paradies ist. Er weiß es und er weiß es auch wieder nicht, denn niemand kann sich wirklich vorstellen, was es bedeutet, mit einer Guppe vollkommen Fremder und mit Schleusern unterwegs zu sein. Und ganz auf sie angewiesen zu sein. Den ersten Teil der Reise darf Javier mit seinem Großvater zusammen machen. Immerhin. Dabei kommen die beiden sich nahe und diese Erinnerungen behält man fürs Leben. Aber dann kommt die Trennung. Aufbruch ist Abbruch, Kluft, Trennung und Schmerz, Heimatverlust. Von nun an ist Javier auf sich allein gestellt. Die 9wöchige Odysee über zwei Landesgrenzen hinweg, unter teils hygienisch unwürdigen Verhältnissen, viel Langeweile und Unwägbarkeiten, verlangt dem Jungen alles an Anpassungsvermögen und Überlebenswillen ab, was er hat. Fremde Menschen, Unterordnung, Impulskontrolle, physische und psychische Strapazen. Und wenn nicht doch noch etwas Menschlichkeit in manchem aus der Flüchtlingsgruppe gewesen wäre, hätte er es nicht geschafft. Der Spannungsbogen in dem Roman hängt freilich manchmal durch, die Erzählweise ist äußerst detailverliebt, die Figurenzeichnungen oft unscharf, dennoch bekommt man einen lebhaften Eindruck davon, was Menschen alles mitmachen müssen, um ein menschenwürdiges Leben zu gewinnen und zu ihren Angehörigen zu kommen. Viele bleiben auf der Strecke, mit anderen Worten, der Tod schaut immer um die Ecke auf einer solchen Reise. ' Für die Authentizität verwendet der Autor unzählige unübersetzte spanische Slangausdrücke, - woran sich viele Rezensenten stören - im Ebook ist die Aufschlüsselung hervorragend gelungen, Kompliment an den Verlag: Ein Klick und man hat die Übersetzung. Fazit: Eindrückliche und authentische Verarbeitung einer Fluchterfahrung, die trotz literarischer Schwächen nicht kalt lässt. Die naive kindliche Perspektive muss man freilich mögen. Damit steht und fällt der Roman. Kategorie: Roman. Migration. Verlag: KiWi, 2024

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